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Stirb leise, mein Engel

Stirb leise, mein Engel

Titel: Stirb leise, mein Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Götz
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Übung
cooles Herz
scheiße fand? Es stand ihm ja ins Gesicht geschrieben. Und vielleicht war sie auch wirklich scheiße. Aber besser als die Methode Alles-bis-zum-Erbrechen-Durchlabern war sie auf jeden Fall, weil sich bestimmte Dinge nun mal nicht aus der Welt quatschen ließen. Wie zum Beispiel die Tatsache, dass Menschen von einem Moment zum nächsten tot sein konnten. Oder dass man jemanden liebte, diejenige aber nur eine Freundin sein wollte.
    »Ja, Sascha? Willst du etwas sagen?«
    Er hatte tatsächlich angesetzt zu reden, aber als er in Androschs Gesicht sah, diese Maske aus professioneller Aufmerksamkeit und Zuwendung, verlor er schlagartig jede Lust. »Nö, eigentlich nicht.« Er ließ sich nach hinten gegen die Couchlehne sinken und begann, mit dem ausgestreckten Zeigefinger in seinen Oberschenkel zu piken. Irgendwas rumorte in ihm, er wusste nicht genau was, aber angefangen hatte es, als Androsch gesagt hatte, dass er nicht zu Natalies Beerdigung kommen würde.
    »Da waren wir aber schon mal weiter«, sagte Androsch.
    Sascha hörte auf, sich zu piken, und verschränkte die Finger, sein Blick fixierte einen Kratzer im Fischgrätenparkett. Was meinte Androsch mit:
Da waren wir aber schon mal weiter?
Sollte das ein Vorwurf sein?
    »Weißt du, Sascha, die Sache ist die: Du hast im Laufe des letzten Jahres Erfahrungen gemacht, die sich nicht einfach wegschieben lassen. Menschen, die dir nahestanden, sind tot. Erst dein Vater, jetzt Natalie. Wenn so jemand stirbt, stirbt auch ein Stück von uns. Das heißt, wir werden auch mit unserer eigenen Sterblichkeit konfrontiert. So was tut weh. Vor dieser Erfahrung kann dich kein Superschutzschild mehr bewahren. Das ist aus und vorbei.«
    »Ach.« Saschas Blick fuhr hoch, mitten in Androschs Gesicht. »Und warum noch mal kommen Sie nicht zu Natalies Beerdigung? Weil Sie verreisen? Phhh! Wer’s glaubt.«
    Überrascht zuckte Androsch zurück. »Was denkst du denn, warum ich nicht komme?«
    »Weil Sie feige sind und sich drücken wollen! Weil Sie sie nicht retten konnten! Weil Sie versagt haben! Weil wir alle versagt haben!« Er war laut geworden, sein Oberkörper war vorgeschnellt, während er sich mit der einen Hand an der Sofalehne, mit der anderen am Sitzpolster festkrallte. »Das hätte nicht passieren dürfen! So was darf nicht passieren!«
    »Siehst du es denn so? Dass du versagt hast?«
    »Woher soll ich das wissen?!« Er sank in sich zusammen. Ruhiger fuhr er fort: »Ich glaub, sie wollte, dass ich sie beschütze. Aber wie hätte ich das machen sollen? Sie hat mich ja nicht mehr an sich rangelassen, seit sie diesen Typen hatte.«
    »Welchen Typen?«
    Er winkte ab. »Egal.« Immer über alles zu reden, half sowieso niemandem. Ihm nicht und Natalie schon gar nicht.
    »Du musst dir keine Vorwürfe machen, Sascha. Egal, was du ihr versprochen hast.«
    Sascha nickte. »Das weiß ich auch. Aber trotzdem bleibt dieses Scheißgefühl.«
    »Dieses Scheißgefühl, wie du es nennst, ist Teil des Lebens. Weil … Es ist immer zu wenig. Was wir tun können, meine ich.«
    Sollte ihm das etwa ein Trost sein? Wenn ja, funktionierte es nicht. Im Gegenteil. Er fühlte sich nur noch erbärmlicher. Unerträglich. Nein, dieses Scheißgefühl wollte er nicht haben. Auf gar keinen Fall! Für Androsch mochte es okay sein, alles nur zu bequatschen und sich sonst rauszuhalten. Er aber hätte sich besser gefühlt, wenn er etwas hätte tun können. Nur was?

12
    ANDROSCH KONNTE SAGEN, was er wollte, die Übung
cooles Herz
funktionierte super. Selbst hier, unter diesen verschärften Bedingungen. Abgesehen von einer leichten Enge in der Brust, machte Sascha die Beerdigungsszenerie rein gar nichts aus. Die kleine, glatte Kugel in der Hand wirkte in Verbindung mit dem Bild in seinem Kopf wie ein Blitzableiter für schlechte Gefühle. Kein Schwitzen, kein Herzrasen, keine Beklemmung – nichts. Selbst die Trauer um Natalie spürte er nur wie das Echo eines Gefühls. Von wegen:
Wir waren schon mal weiter.
    Trotzdem würden ihn keine zehn Pferde zu den anderen Schülern in die Aussegnungshalle bringen. So viel Heuchelei ertrug doch kein Mensch. Anscheinend war die halbe Schule angetreten, und dieselben Leute, die noch am Vormittag auf dem Schulhof über Natalie gelästert hatten, kamen jetzt mit einer Trauermiene an, als würden sie den Verlust kaum verschmerzen. Sogar die Rothaarige, mit der Natalie sich geprügelt hatte. Widerlich war das.
    Dass Sascha überhaupt gekommen war, hatte nur zwei

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