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Stirb leise, mein Engel

Stirb leise, mein Engel

Titel: Stirb leise, mein Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Götz
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es nicht weit. Der große Nachteil an dieser Verbindung war, dass das gemeinsame Stück Schulweg mit Sascha entfiel.
    Joy zog die Kapuze ihrer Regenjacke auf und ging los, in grauen Gummistiefeln, die ihr bis unter die Knie reichten. So ausgestattet, stapfte sie mitten durch jede Pfütze hindurch und hatte Spaß daran, wie ihr die schweren Tropfen auf den Kopf trommelten. Sascha und diese Mareike, dachte sie wieder, nee, das sehe ich nicht. Sie wusste nicht, warum, aber irgendwas passte da einfach nicht. Das sagte ihr die weibliche Intuition, und auf die konnte sie sich meistens verlassen.
    Am Straßenrand neben dem Eingang zum Schulhof blendete ein parkendes Auto mehrmals auf. Ein Kleinwagen, sie tippte auf einen Ford Fiesta. Uralt und schon ziemlich angerostet. Bruno saß am Steuer. Ein Seufzer entfuhr ihr. Sie wünschte, sie hätte sich gestern Abend nicht derart von seinem Zorn und seiner tiefen Empörung über Androsch mitreißen lassen. Dann hätte sie ihm bestimmt nicht angeboten, ihn zu begleiten, wenn er die Sache mit Androsch ein für alle Mal klärte, wie er es nannte. Eigentlich war ihr doch von Anfang an klar gewesen, dass dabei nur eine riesengroße Dummheit herauskommen konnte.
    Als sie auf die Fahrerseite kam, kurbelte er sein Fenster herunter.
    »Was ist? Steig ein!«
    »So klatschnass, wie ich bin, versaue ich dir nur dein Auto.«
    »Ach komm, was willst du an der alten Kiste versauen?«
    Stimmt auch wieder, dachte sie. Trotzdem stieg sie nur widerwillig ein. Bruno beugte sich zu ihr herüber, zog ihr die Kapuze vom Kopf und küsste sie auf die Wange. Mehr wagte er nicht mehr, seit sie gestern Abend allen Versuchen, ihr näherzukommen, subtil ausgewichen war.
    »Wir haben noch etwas Zeit«, sagte er, »wir müssen erst um drei da sein. Hast du Hunger? Ich lad dich auf einen Döner ein.«
    »Wieso? Was ist um drei?«
    »Bis um drei hat Androsch Patienten. Danach verlässt er seine Praxis.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Weil er es mir gesagt hat.«
    »Hä? Wie das?«
    »Ich hab ihn heute Morgen angerufen und wegen einem Termin gefragt. Weil ich über Alinas Tod nicht hinwegkomme und so. Er hat mich auf nächste Woche vertröstet, der arrogante Arsch. Wird sich ganz schön wundern, wenn er merkt, dass wir unser Gespräch doch schon heute haben.« Die Art, wie Bruno grinste, gefiel ihr überhaupt nicht. Es lag etwas Brutales darin, das sie bisher nicht an ihm bemerkt hatte.
    »Hältst du das wirklich für eine gute Idee?«
    Bruno sah sie überrascht an. »Was soll das denn heißen? Das hörte sich gestern aber noch ganz anders an.«
    Sie seufzte. Sie wusste selbst, dass sie gestern noch ganz anders gesprochen hatte, aber das Gespräch mit Sascha auf dem Balkon hatte ihr den Kopf schnell wieder geradegerückt. Außer abenteuerlichen Vermutungen und einem schwammigen Tagebucheintrag hatten sie nichts, was Androsch belastete, und selbst wenn Bruno recht hatte – was brachte es, dem Mann mit falschen Behauptungen und Drohungen zuzusetzen?
    »Kneifst du etwa?«, fragte Bruno.
    »Ach was. Ich halte bloß nichts von Aktionen aus dem Bauch. Außerdem kann ich gar nicht kneifen, weil ich nämlich nichts versprochen hab.«
    »Schon klar.«
    Er starrte stumm geradeaus. Sie schwieg ebenfalls.
    Durch die Wassermassen, die über die Scheiben flossen, war die vertraute Welt draußen nur in verwaschenen Umrissen zu sehen. So als wäre sie dabei, sich vor ihren Augen aufzulösen.
    »Okay«, brach Bruno das Schweigen, »ich bring dich jetzt nach Hause und fahr danach allein zu diesem Psycho-Arsch. Ich kläre ein für alle Mal, was passiert ist, das garantiere ich dir. Und wenn ich es aus ihm rausprügeln muss.« Er sah sie an. »Wahrscheinlich ist es sogar besser, wenn du nicht dabei bist. Sonst hängst du am Ende in einer Sache mit drin, die dir völlig egal sein kann. Sorry, dass ich überhaupt daran gedacht habe, dich da mit reinzuziehen.« Es klang nicht so, als täte es ihm wirklich leid.
    Er startete den Motor und ließ ihn kurz aufheulen. Sie legte ihm die Hand auf den Arm. »Schon okay. Ich komme mit. Jemand muss schließlich aufpassen, dass du keine Dummheiten machst.«
     
    ER PARKTE DEN Wagen so, dass sie den Hauseingang im Blick hatten. Alle paar Sekunden fuhren die Wischerblätter mit einem scharrenden Geräusch über die Scheibe und machten die Sicht kurz frei. Joy hatte beim Essen und während der Fahrt noch einmal versucht, Bruno sein Vorhaben auszureden, doch vergebens.
    Bis drei Uhr waren es nur

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