Stirb leise, mein Engel
Klappmesser und ließ die Klinge herausschnellen. »Unten bleiben!«
Inzwischen hatte Joy sich aufgerappelt. Die Hand auf ihren schmerzenden Bauch gepresst, brüllte sie: »Aufhören! Alle beide!«
Doch niemand beachtete sie. Androsch, der inzwischen klatschnass war, stand noch immer da und sah tatenlos zu, wie sein Retter Bruno mit einem Messer bedrohte. Der Angreifer wandte sich schließlich halb zu ihm um und schrie ihn an: »Na, hau schon ab!«
Da kam Leben in Androsch. Er lief um das Auto herum, stieg ein, ließ den Motor an, setzte zurück und schoss aus der Parklücke. Sein Retter konzentrierte sich nun wieder ganz auf Bruno, der noch immer auf dem Boden lag.
»Mach kein’ Scheiß«, beschwor Bruno ihn.
Joy näherte sich vorsichtig von der anderen Seite. Der Junge in der olivgrünen Jacke schaute sich zu ihr um. Sie blieb stehen. Das genügte ihm, er wandte sich wieder Bruno zu, fuchtelte mit dem Messer vor ihm herum, trat ihn noch ein paarmal und schrie: »Finger weg von meinem Alten! Merk dir das, du blödes Arschloch!«
Als könnte niemand ihm was anhaben, schlenderte er in seiner zerrissenen Jacke davon. Alles, was er noch tat, war, Androschs Schirm aufzuheben, den eine Windböe an die Hauswand getrieben hatte. Doch statt sich damit vor dem noch stärker werdenden Regen zu schützen, fuhr er ihn ein und benutzte ihn wie einen Spazierstock. Die ganze Zeit behielt er das Messer deutlich sichtbar in der Hand.
»BIST DU SICHER , dass du nicht ins Krankenhaus willst?«
Bruno schüttelte den Kopf. Obwohl nicht zu übersehen war, wie weh ihm alles tat. Stöhnend hatte er sich mit Joys Hilfe zurück ins Auto geschleppt. Ihr Mitleid hielt sich allerdings in Grenzen. Schließlich hatte er sich das Ganze selbst eingebrockt. Und er hatte ihr seinen Ellbogen in den Magen gerammt.
»Wo ist dieser blöde Wichser auf einmal hergekommen? Hast du den kommen sehen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Und dieser Psychodoc ist einfach abgehauen. So eine Pfeife. Aber es passt. Ich sag dir, das sind genau die Typen. Genau die.«
»Was für Typen?«
»Na, die sich an unschuldigen Mädchen vergreifen. Aber ich krieg ihn schon noch.«
Sie verzog den Mund. Bruno hatte anscheinend nichts gelernt.
»Wer war dieser Typ bloß?«, fragte er.
»Sein Sohn.«
Er sah sie erstaunt an. »Echt? Woher weißt du das?«
»Hat er doch selbst gesagt. Indirekt zumindest.«
»Ach was. Hab ich gar nicht mitgekriegt.«
»Und dass du mir den Ellbogen in den Bauch gerammt hast, wahrscheinlich auch nicht.«
Er wandte das Gesicht wieder ab. »Äh … Nein. Sorry. War wohl ein Reflex. Bist du sauer?«
»Vor allem bin ich enttäuscht, Bruno. Ich verstehe ja, dass das, was passiert ist, nicht so leicht zu bewältigen ist. Das mit deiner Schwester, meine ich. Aber wenn du glaubst, du kannst dich deshalb so bescheuert aufführen, dann irrst du dich. Was du hier abgezogen hast, finde ich total daneben. Damit will ich nichts zu tun haben. Deshalb steige ich hier aus.«
Ihre Hand fuhr zum Türgriff. Doch ehe sie ankam, fing Bruno sie ab.
»Schon verstanden, bleib sitzen. Ich bring dich noch nach Hause.«
»Und dann? Was machst du dann?«
Er startete den Motor.
»Ich lass es jedenfalls nicht auf sich beruhen. Aber ich glaube nicht, dass dich das noch was angeht.«
26
SASCHA WAR EBEN aus der Schule gekommen und machte sich gerade ein Sandwich, als sein Handy klingelte. Die Nummer des Anrufers war unterdrückt. Aha, dachte er.
»Ich bin’s.« Mareike, wie erwartet. »Was machst du gerade?«
»Nichts Großes.«
»Mir ist was zu Natalie eingefallen, das dich interessieren könnte.«
»Ach ja? Was denn?«
»Würde ich dir lieber persönlich sagen. Oder hast du gerade keine Zeit?«
»Doch, doch. In einer halben Stunde? Wieder im
Rocky
?«
»Sei aber pünktlich.«
»Bin ich das nicht immer?«
Sie hatte schon aufgelegt.
Nachdem er das Sandwich hinuntergeschlungen hatte, schlüpfte er in seine Regenjacke, zog die Stiefel an und verließ die Wohnung. Unten riss er die Haustür auf – da fiel ihm jemand in einer pitschnassen Jacke in die Arme. »Ups!«, machte sie. Erst auf den zweiten Blick erkannte er, wen er vor sich hatte: Joy!
Sie standen da wie zwei, deren Reißverschlüsse sich ineinander verhakt hatten. Drei wuchtige Herzschläge, dann riss ein Hupen sie aus ihrer Erstarrung. Joy trat einen Schritt zurück, drehte sich zur Seite und winkte jemandem zu, der gerade davonfuhr.
»Er hat mich bloß heimgebracht«, erklärte sie, ehe
Weitere Kostenlose Bücher