Stirb, mein Prinz
Rettungswagen.
Der Parkplatz war abgeriegelt worden, genau wie der Haupteingang. Samuels Leiche lag noch da und wartete auf den Rechtsmediziner.
Don und Marina stiegen aus dem Wagen und rannten auf den Eingang zu. Phil saß auf den Stufen. Marina setzte sich neben ihn.
»Phil?«
Er schwieg und blickte starr geradeaus. Ließ nicht einmal erkennen, ob er sie bemerkt hatte.
»Phil, ich bin’s, Marina.«
Sie nahm seine Hand und streichelte sie. Keine Reaktion. Sie sah sich nach Don um, der ihren besorgten Blick erwiderte. Dann unternahm sie einen neuen Versuch.
»Phil …«
Es half nichts.
Zwecklos , dachte sie. Er stand unter Schock, war wie gelähmt vor Schreck.
Don ließ sich auf seiner anderen Seite nieder.
»Phil, ich bin es, Don. Phil, Junge, hörst du … Kannst du mich hören?«
Keine Reaktion.
Marina streichelte unablässig seine Hand. Lehnte sich gegen ihn.
»Marina …« Seine Stimme war leise, als käme sie vom anderen Ende eines langen, dunklen Tunnels.
Marina drückte seine Hand fester. »Ja, Phil, ich bin hier.«
Da drehte er sich zu ihr um. Und sie sah etwas in seinen Augen, von dem sie hoffte, dass sie es in ihrem Leben nie wieder würde sehen müssen. Schmerz. Qual. Und abgrundtiefe Hoffnungslosigkeit.
»Es gibt ihn wirklich, Marina. Den Mann aus meinen Träumen. Es gibt ihn wirklich. Er war hier …«
Sie drückte seine Hand noch fester.
»Oh Gott … oh Gott …«
Sie ließ ihn nicht los.
DRITTER TEIL
WINTERTOD
77 Es war das erste Mal, dass Brian Glass jemanden getötet hatte.
Er war schon für andere Todesfälle verantwortlich gewesen, aber nie unmittelbar. Nie mit seinen eigenen Händen. Er saß auf dem Sofa in Donna Warrens Wohnzimmer und blickte auf den leblosen Körper hinab, der vor ihm am Boden lag. Er war bei Autopsien dabei gewesen, hatte zugesehen, wie Körperteile entfernt und gewogen, in Stücke geschnitten und unter die Lupe genommen wurden. Hatte zugehört, wie Todesursachen bestimmt wurden. Aber all das kam erst hinterher. Dies hier war jetzt.
Jetzt lag die Leiche von Rose Martin vor ihm auf dem Fußboden. Wie hypnotisiert betrachtete er sie. Ihr Bauch war ein Gemenge aus blutroten Klumpen. Er konnte keine einzelnen Organe erkennen, es war ein einziges Durcheinander. Ihr Blut war im ganzen Zimmer verteilt. Er wusste, dass ein Sachverständiger anhand der verschiedenen Spritz- und Tropfmuster den Tathergang rekonstruieren konnte, aber er wollte im Moment nichts anderes tun, als einfach nur dazusitzen und die Leiche anzuschauen. Wie ein Künstler sein Werk im Atelier.
Was ihn am meisten faszinierte, war das Gesicht. Minuten zuvor war es noch so lebendig gewesen. Die Augen hatten geleuchtet und vor Hass gesprüht, der Mund hatte ihm Wahrheiten entgegengeschleudert, die er nicht hatte hören wollen. Und jetzt das. Nichts. Die Lippen waren erschlafft, konnten keine Laute mehr formen, die Augen trübe und blicklos wie die eines ausgenommenen Fisches auf einem Marmorblock.
Er bereute nicht, was er getan hatte. Im Gegenteil. Er war wie berauscht davon.
Er musste nur dafür sorgen, dass man ihm nicht auf die Schliche kam, das war alles.
Er rieb sich den Kopf. Die Stelle, wo Donna Warren ihn mit dem Becher erwischt hatte, schmerzte, wenn er sie berührte. Ein Bluterguss hatte sich gebildet, und eine Beule war zu fühlen. Zuerst hatte er getobt vor Wut, dass sie und der Junge entwischt waren. Ihnen hinterherzulaufen war ausgeschlossen gewesen. Eine Verfolgungsjagd auf offener Straße – noch dazu er mit einem Messer –, das hätte selbst in New Town für Aufsehen gesorgt. Also hatte er sie laufenlassen. Aber nun, während er so dasaß, kam ihm der Gedanke, dass ihm vielleicht gar nichts Besseres hätte passieren können. Denn jetzt hatte er einen Sündenbock. Jetzt hatte er eine Mörderin.
Er wusste, was zu tun war. Er würde die Leiche an Ort und Stelle liegen lassen, wo sie dann später gefunden würde. Und zwar von ihm selbst. Weshalb sich seine DNA am Tatort befand, ließe sich leicht erklären. Schließlich hatte er das Haus betreten und die Leiche entdeckt; seine Aussage würde für eine Verhaftung und Verurteilung ausreichen. Er würde höchstpersönlich die Vernehmung leiten. Dafür sorgen, dass sie das erwünschte Ergebnis lieferte.
Oh ja. Es würde ein Kinderspiel werden.
Er hatte sich auch schon eine Erklärung für sein überstürztes Verschwinden aus dem Krankenhaus zurechtgelegt. Er hatte den Wagen verfolgt, in dem der Junge entführt worden war.
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