Stirb, mein Prinz
Der Pub bot ihnen eine sichere Zuflucht, nährte ihre Illusionen, schmierte ihre Erfolglosigkeit, bis notorische Versager sich zu Siegern heißgeredet hatten. Jeder war König in seinem eigenen Schloss aus Ramsch. Bis ihm die reale Welt wieder ins Gesicht schlug wie eine eisige Bö von der Nordsee.
Bis zur Sperrstunde.
Rose Martin war berufsbedingt schon oft im Shakespeare gewesen, sowohl in Uniform als auch in Zivil. Aufräumaktionen am Wochenende, bei denen sie Schlägereien hatten schlichten müssen und sie unter Beweis gestellt hatte, dass sie härter drauf war als ihre männlichen Kollegen. Oder später dann, in der Abteilung für Kapitalverbrechen, auf der Jagd nach irgendeinem Nichtsnutz, der – irrigerweise – angenommen hatte, er könne in eine höhere Liga aufsteigen.
Ja, sie kannte das Shakespeare.
Kaum hatte sie den Pub betreten, spürte sie ihren Adrenalinspiegel steigen. Einem alten Reflex folgend, ballten sich ihre Hände zu Fäusten, und ihr Körper schaltete in den Kampf-oder-Flucht-Modus.
Kampf, definitiv.
Sie hatte Aufmerksamkeit erregt. War sofort als Bulle identifiziert worden. Genauso gut hätte sie ein großes Neonschild um den Hals tragen können. Die einsamen Trinker, die verstreut im Raum saßen, hatten bei ihrem Eintreten entweder kurz aufgeschaut oder die Köpfe eingezogen und den Blick abgewandt. An Tischen mit zwei oder mehr Gästen ließen Hände irgendwelche Dinge unter dem Tisch verschwinden, von wo sie erst wieder auftauchen würden, nachdem sie gegangen war. Die Jungs am Pooltisch unterbrachen ihre Partie und starrten zu ihr herüber. Hielten ihre Queues wie Stammeskrieger ihre Speere.
Sie ging weiter. Die Luft war muffig. Vorbei waren die Zeiten, als noch der Zigarettenqualm den Geruch des von schalem Bier getränkten Holzes überdeckt hatte. Oder den einer Toilette, die länger nicht geputzt worden war. Oder den der Fritteuse, deren Fett man zum letzten Mal zu Tony Blairs Amtszeit ausgewechselt hatte.
Die Wände waren größtenteils kahl. Stühle, die ihren Einsatz als Waffen in samstäglichen Kneipenschlägereien überlebt hatten, standen um alte zerkratzte Tische herum. An den Wänden standen Bänke, deren Vinylbezug nur noch ein Patchwork aus zugeklebten Rissen war.
Rose trat an die Theke. Der Mann hinter dem Tresen war groß und hatte keinen Hals. Sein Kopf mit den kurzrasierten Stoppeln saß direkt auf dem Kragen seines ausgewaschenen Hawaiihemds. Seine Miene war so freundlich und offen wie der Vertreter einer evangelikalen Kirche gegenüber einem verheirateten Schwulenpaar.
Sie zeigte ihm ihren Dienstausweis. Eine überflüssige Geste. »Ich bin auf der Suche nach Daryl Kent. Ist der hier? Mir wurde gesagt, dass ich ihn hier finden kann.«
Der Mann schien die verschiedenen Möglichkeiten abzuwägen: entweder einen Gast verpfeifen oder sich jemandem gegenüber unkooperativ zeigen, der ihm und seinem Pub die Behörden auf den Hals hetzen konnte. Schließlich rang er sich dazu durch, wortlos in Richtung der jungen Männer am Pooltisch zu nicken.
»Welcher?«, fragte sie.
»Der Dunkle. Im weißen Kapuzenshirt.« Er sprach, ohne die Lippen zu bewegen.
Rose nickte zum Dank und ging zum Pooltisch. Erkannte Daryl Kent sofort. Er war multiethnischer Abstammung und schien deswegen eine ziemliche Wut im Bauch zu haben. Jedenfalls hatte er wegen irgendetwas eine Wut im Bauch. Seine Augen verengten sich, und sein Gesicht nahm einen drohenden Ausdruck an. Er war sprungbereit. Auf Streit aus.
»Daryl Kent?«
Zuerst sah er sich nach seiner Clique um, ein rascher Blick nach beiden Seiten. Sie gingen hinter ihm in Stellung, die Billardqueues fest umklammert. Dann erst sah er zu Rose. »Wer will das wissen?«
Sie zeigte ihm ihren Ausweis. »Detective Inspector Rose Martin.«
»Five-O.« Er schien sehr zufrieden mit sich, als hätte er gerade Fermats letzten Satz bewiesen.
Sie wartete. »Daryl Kent.« Eine Feststellung, keine Frage.
Ein unmerkliches Nicken. »Ja.«
»Können wir uns unterhalten?«
»Unterhalten wir uns hier. Meine Homies sind cool.«
Rose verdrehte innerlich die Augen. Er redete wie ein New Yorker Gangster oder ein Yardie, dabei war er wahrscheinlich nie weiter aus Colchester rausgekommen als bis nach Marks Tey.
»Sie waren Faith Luscombes Freund, richtig?«
Er zuckte die Achseln.
»Ist das ein Ja?«
»Ja. War ich mal. Schon ’ne Weile her. Schlampe war mir zu ranzig.«
»Jetzt bestimmt nicht mehr, Daryl, weil sie nämlich tot ist.«
Es war,
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