Stirb mit mir: Roman (German Edition)
hinter denen das Tageslicht vergeht.
Der Garten draußen ist klein, voller Terrakottatöpfe und mit einer Holzbank, auf der sich der schwarze Kater ungeachtet des Wetters putzt. Es ist kalt draußen, bitterkalt, trotzdem kommt der Kater herein. Er misstraut fremden Menschen. Als er sich beobachtet fühlt, hält er inne, die Pfote halb in der Luft, wirft uns einen abschätzigen Blick zu und nimmt sein Putzprogramm wieder auf.
Cate zieht einen Notizblock aus ihrer Handtasche hervor. »Gehört der Ihnen?«, fragt sie und nickt in Richtung des Katers.
»Notgedrungen. Er gehört einer Nachbarin, die häufig fort ist. Er kommt zu mir rüber, wenn er Gesellschaft sucht. Möchten Sie eine Tasse Tee?«
»Kaffee, bitte. Schwarz, ein Stück Zucker.«
»Ich habe keinen Kaffee da. Seit Kurzem leide ich unter Kopfschmerzen und habe das Kaffeetrinken aufgegeben. Ich kann Ihnen sonst höchstens Rauchtee anbieten.«
»Danke.« Ihr Blick wandert zu dem Roman, der auf dem Tisch liegt. Der Sammler von John Fowles. Ich räume das Buch fort. »Lesen Sie, Miss Austin?«
»Nicht viel. Dazu fehlt mir die Zeit.« Die übliche Ausrede. Dabei haben wir alle dasselbe Maß an Zeit zur Verfügung, oder etwa nicht? Wir verwenden sie nur unterschiedlich. »In Ihrem Beruf müssen Sie wohl ziemlich viel lesen?«
»Das ist einer der Vorteile. In der akademischen Welt wird Lesen als Arbeit betrachtet.«
»Wie hat denn das College auf Ihren Schuldspruch reagiert?«
»Die Universität«, verbessere ich. »Das College ist eingegliedert worden.« Ich fülle den Wasserkessel und schalte ihn mit einem Ruck ein. »Man hat mir den Kontakt mit den Studenten untersagt. Mein Büro darf ich allerdings behalten, und ich habe eingewilligt, Aufsätze zu korrigieren, das ist alles. Falls ich Bewährung bekomme, wird man über meine Weiterbeschäftigung nachdenken. Auf mehr lässt man sich zurzeit nicht ein.«
»Sie können froh sein, dass man Sie nicht umgehend entlassen hat.«
Die Tasse in meiner Hand trifft klappernd auf die Arbeitsfläche aus Granit. »Froh? Ich bin eine erstklassige Akademikerin, und man gestattet mir derzeit keinen Kontakt mit den Studenten. Ich finde das lächerlich. Als wäre ich für irgendjemanden eine Gefahr.« Ich spüre die Hitze, die mir in die Wangen steigt. Da fällt mir ein, dass es nicht klug ist, heftig zu werden. Ich muss mich abwenden, drehe mich zum Wasserkessel um. In dem Mantel aus Edelstahl erkenne ich mein verzerrtes Gesicht. Bis das Wasser kocht, schweigen wir. Ich fülle zwei Tassen.
Am Tisch setze ich mich ihr gegenüber. »Also, was möchten Sie wissen?«
»So viel, wie Sie mir zu erzählen bereit sind. Mehr wahrscheinlich. Ich muss dem Richter eine Empfehlung für sein Urteil aussprechen. Zwar ist kein Gericht gezwungen, meinem Gutachten zu folgen, aber in der Regel tun sie es.«
»Das muss Ihnen ein ganz schönes Machtgefühl geben.« Ich schiebe ihr die Tasse auf einer Untertasse zu. »Passen Sie auf, der Tee ist heiß.«
Sie trinkt ein Schlückchen. »Es gibt mir vor allem das Gefühl, dass ich die richtige Entscheidung treffen muss.«
»Und, entscheiden Sie immer richtig?«
Die Antwort behält sie für sich. Stattdessen fragt sie: »Hat Ihr Anwalt Ihnen erklärt, was ein vorgerichtliches Gutachten ist, Alice?« Sie benutzt meinen Vornamen, ohne gefragt zu haben, ob es mir recht ist. Wie unhöflich.
»Ja, Cate. Aber ich würde es gern noch einmal von Ihnen hören.«
»Ein Richter kann dieses Gutachten nach einem Schuldspruch anfordern. Es soll ihn – meistens ist es ein Er – bei der Urteilsfindung unterstützen. Meine Aufgabe besteht darin, Nachforschungen anzustellen und einen Fall so einzuschätzen, dass ich zu einem angemessenen Vorschlag kommen kann.«
»Angemessen für wen?« Ich nehme ein vorsichtiges Schlückchen Tee und rieche den aufsteigenden Zitronenduft.«
»Hoffentlich für jedermann. Ich muss erwägen, was im Einklang mit dem Verbrechen steht. Ich schaue mir die Urteile von ähnlichen Fällen an, bedenke das Opfer, seine Familie …«
»Es gab kein Opfer!«
Ich habe sie unterbrochen. Ihr Gesicht wirkt auf einmal verkniffen, sie presst die Lippen zusammen. Sie glaubt mir nicht. Warum kann sie das, was ich sage, nicht einsehen?
»Es war ein freiwilliger Tod. Er war derjenige, der auf mich zugekommen ist. Glauben Sie etwa nicht an das Recht eines Menschen, sich für das Leben oder den Tod zu entscheiden?«
»In den Augen des Gesetzes ist David Jenkins das Opfer«, sagt sie
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