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Stirb mit mir: Roman (German Edition)

Stirb mit mir: Roman (German Edition)

Titel: Stirb mit mir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Dugdall
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Bartwuchs. Ich zog ihn an mich und küsste die Stelle an seinem Hals, an der sein Blut pulsierte. Dann erwachte der Lautsprecher zum Leben, und eine schrille weibliche Stimme störte die nervöse Zärtlichkeit, die zwischen uns herrschte. »Der Zug nach London, Liverpool Street, fährt auf Gleis eins ein. Ankunft neunzehn Uhr.«
    Smith neigte sich zu mir, ich spürte seine feuchten Lippen an meinem Ohr. »Robin«, begann er aufgeregt. »Ich bin so weit. Sieh zu, dass du es auch bist.«
    Bei seinen Worten schien die Welt ringsum still zu stehen. Sie waren das, was ich hören wollte.
    Meine Kehle schnürte sich zu, und ich bekam kaum noch Luft. Ich schwankte, und mein Herz fing an zu rasen. Smith umfasste mich, und ich sank in seine Arme. Er hielt mich fest, während mein Herz weiterhin wie wild schlug und meine Hände feucht wurden. Meine klinische Distanz war wie weggefegt. Vom Verstand her wusste ich, dass Adrenalin durch meine Adern jagte, doch die Erregung kam aus meinem Herzen. Nicht Robin, die kühle Akademikerin, hatte Smiths Worte vernommen, sondern das Mädchen Alice, das wieder in dem kleinen Zimmer sein wollte, bei seiner noch immer warmen Mutter. Das Mädchen, das diese Liebe wieder erleben wollte.
    Es gefiel mir nicht, dass Smith mich so sah, doch mein Wunsch, umarmt zu werden, war stärker. Er umschlang meinen bebenden Körper, bis mein Atem sich normalisierte, mein Herzschlag sich verlangsamte und mir schwindlig wurde, als sei ich ein anstrengendes Rennen gelaufen. Smith löste sich von mir. Er wirkte müde, als habe mein Gefühlsaufruhr ihn erschöpft.
    »Ich liebe dich. Ich möchte, dass wir zusammenbleiben. Für immer.« Er legte eine Hand auf meine schweißnasse Stirn. »Du sollst von meinem Fleisch essen. Es wird zu meinem Gedenken sein. Wir werden ein Fleisch, ein Blut sein.«
    Es war wie ein Segen.
    Dann ließ er mich los und stieg in den Zug. Der Schaffner blies auf seiner Trillerpfeife, die Wagentüren schlugen zu. Ich verfolgte, wie der Zug losfuhr, und wusste, es war das letzte Mal, dass Smith mich verließ. Ich war konvertiert, eine Jüngerin, und begriff, dass alles vor diesem Augenblick eine Prüfung gewesen war.
    Smith war bereit zu sterben.

Siebenunddreißig
    In zwei Tagen wird das Urteil gefällt, und ich bin nur noch ein Nervenbündel. Darüber hinaus ist mir übel, und ich habe heftige Kopfschmerzen, die nicht vergehen wollen, nicht einmal nach vier Nurofen. Lee hat ihren letzten Urlaubstag, heute Abend fliegt sie zurück nach Deutschland. Sie möchte, dass wir etwas zusammen unternehmen, schwimmen gehen. Ich bin seit Jahrzehnten nicht mehr geschwommen.
    Beim letzten Mal war ich vier Jahre alt.
    »Es wird dir Spaß machen«, sagt sie, packt meine Hand und zieht mich hinter sich her durch das silbrige Drehkreuz, dem Eingang zu den Schwimmbecken, dem Geschrei und den rutschigen Fliesen.
    In der Umkleide sind drei Frauen unterschiedlichen Alters. Jede steht in einer Ecke. Die Älteste hat eine Gänsehaut und rubbelt ihren faltigen Körper mit einem gemusterten Handtuch trocken. Die Jüngste ist auf dem Weg ins Wasser und rückt die Träger ihres Badeanzugs zurecht. Sie trägt eine Badekappe. Auf der Bank vor ihr liegt eine Schwimmbrille. Eine erfahrene Schwimmerin also. Mein Interesse richtet sich jedoch auf die Dritte. Sie dürfte in meinem Alter sein und hilft ihrer kleinen Tochter, einem blassen Ding mit schlaffen Zöpfen, in einen roten Badeanzug mit weißen Punkten. Wie ein aufgeregter Spatz in einer Vogeltränke, hüpft die Kleine von einem Bein aufs andere. Die Mutter sieht zu mir herüber und lächelt einen flüchtigen Gruß. Ihr Gesicht wirkt erschöpft und glücklich zugleich, ein Anblick, bei dem mir das Herz wehtut.
    Ich schließe mich in eine Kabine ein, während Lee sich im Gemeinschaftsraum umzieht. Ich streife meine Kleidung ab und lege sie sorgsam gefaltet auf einen Stapel. Ohne Stiefel und Socken spüre ich den nassen, kalten Fußboden. Ich schlüpfe in den neuen Badeanzug, den ich mir vor wenigen Minuten in dem kleinen Laden in der Eingangshalle gekauft habe, und hoffe, dass er passt. Der Stoff aus Lycra fühlt sich auf meinen Brüsten und meinem Bauch fremd an. Wie zur Schau gestellt komme ich mir vor, schlimmer als wenn ich nackt wäre. Es war ein Fehler, in Lees Vorschlag einzuwilligen. Ich wünschte, ich hätte mich nicht überreden lassen. Sie hat gesagt, es würde mir Spaß machen, doch sie weiß nicht, was sie von mir verlangt. Als Kind bin ich zum letzten Mal

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