Stirb mit mir: Roman (German Edition)
bringen würde.
Doch das Böse, vor dem sie sich seit jeher gefürchtet hatte, steckte bereits tief in ihrer Natur.
Sechsunddreißig
Ich glaube, ich schaffe es nicht, sagte er. Ich will nicht sterben. Sofort beruhigte ich ihn, küsste ihn und sagte, er sei stark, und wenn nicht, dann würde ich stark genug für uns beide sein. Wenn man im Beisein eines anderen sterben will, muss man demjenigen vertrauen und sich in seiner Gegenwart verletzlich fühlen können. Bis zu dem sechzehnten Juni, für den Smith sich entschieden hatte, war es noch eine Woche hin. Um seine Zweifel auszuräumen und ihm zu helfen, sich auf diesen Tag einzustellen, hatte ich nur noch eine Woche. Er musste erkennen, dass ich stark war und meine Aufgabe zu bewältigen vermochte. Wir spazierten durch den Ort, besuchten den historischen Kern. Wieder in meinem Haus, tranken wir eine Flasche Pouilly Fumé und nahmen eine leichte Mahlzeit aus Brot und Käse ein. Trotz des Alkohols wirkte Smith zappelig. Er konnte nicht still sitzen, lief um den Küchentresen herum, fasste alles an. Ich hätte schreien können. Als er meine kostbare blaue Vase berührte, verkrampfte ich mich, blieb aber ruhig sitzen und klemmte die Hände zwischen die Knie. Smith nahm die Vase hoch, begutachtete sie, stellte sie zurück und begann, die Blüten von den Blumen zu rupfen.
»Lass uns was unternehmen«, sagte er. Seine Mundwinkel hoben sich zu einem kurzen Lächeln.
»Hier gibt es nicht viel zu unternehmen«, entgegnete ich.
Da lief er längst in Richtung Haustür, ein Ausbruchsversuch in die Freiheit. Es passte mir nicht, dass er einfach den Riegel zurückschob. Es war mein Riegel, meine Tür. In seiner Hast war er unhöflich geworden.
Draußen war es kühl, die Wärme des Tages war verflogen. Lavenham lag wie ausgestorben da. Tagsüber kommen die Touristen, schauen sich die Läden und die Häuser an, lesen auf dem Friedhof die Inschriften auf den alten Grabsteinen oder sitzen im White Swan und streichen Buttercreme auf mehlige Scones. Wenn der Abend kommt, fahren sie wieder weg und suchen die Städte auf, die um die Zeit lebendig werden und Unterhaltung zu bieten haben. Dann zieht es sie nach Ipswich oder Colchester, wo mit der Dunkelheit Jugendliche zum Vorschein kommen, vor den gigantischen Multiplexkinos herumlungern, die zu viele schrille Filme zeigen, oder vor den amerikanischen Restaurantketten, die Hamburger, Rippchen und Pommes frites anbieten. In einer solchen Stadt wollte ich nicht wohnen. Bei Tag finde ich Colchester erträglich, denn dort gibt es einen Park und eine Burg, in denen man den Filialisten und Sozialhilfeschmarotzern entgehen kann, aber bei Einbruch der Dunkelheit möchte ich nur noch in meinem Dorf sein.
Die abendliche Unterhaltung, die Smith wünschte, war demnach ein Problem.
Gleich hinter dem Pub, ein Stück meine Straße hinunter, war irgendetwas los. Die Eingangstür zum Gemeindehaus wurde von einem Stuhl offengehalten, an der Mauer lehnten ein paar Frauen, die rauchten und lachten. Ich fragte mich, was Smith von diesen dummen, herumalbernden Weibern hielt, ob er ihre kurzen Röcke und aufgepumpten Brüste registrierte.
»Da scheint eine Party stattzufinden«, sagte er interessiert und zuckte mit den Schultern.
Ich wusste, dass es die einzige Möglichkeit zur Unterhaltung war und Smith Ablenkung brauchte.
Wir traten näher. Die Frauen hörten auf zu lachen und musterten uns.
»Die Veranstaltung findet zugunsten des Kirchendachs statt«, sagte eine. Ich erkannte sie wieder, sie arbeitete in dem Delikatessladen unten an der Hauptstraße. »Für die Reparatur wird Geld gesammelt.«
Mir stand der Sinn nicht nach einem Tanzabend im Gemeindehaus. Lieber hätte ich eine ruhige Galerie besucht oder ein Museum, hätte die Kataloge gelesen, in denen stand, was der Künstler beabsichtigt hatte. Den lachenden Frauen traute ich nicht, aber Smith steuerte auf den Eingang zu und rückte beim Übertreten der Schwelle seine Brille zurecht.
Innen stank es nach verzweifelten Menschen mittleren Alters. Geschiedene Frauen trugen Kleidung, die besser zu Teenagern gepasst hätte. Sie tanzten zu Songs, in denen es ums Überleben ging, und taten, als amüsierten sie sich königlich. Eine Frau in einem gestärkten schwarzen Taftrock entdeckte Smith und zwinkerte ihm zu. Dann sah sie mich hinter ihm und lächelte mich vielsagend an. In meinem cremefarbenen engen Rock und der Leinenbluse wirkte ich denkbar fehl am Platz und fühlte mich uralt, obwohl ich
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