Stirb mit mir: Roman (German Edition)
wirkt angespannt und trommelt mit den Fingern auf der Tischplatte. Dann runzelt sie die Stirn und atmet schwer ein und aus.
»Wie geht es Ihnen heute, Alice? Sind Sie froh, dass morgen alles vorbei sein wird?«
Irgendetwas schwingt in ihrem Tonfall mit, etwas Feindseliges, das ich bei ihr bisher nicht wahrgenommen habe. »Wahrscheinlich geht es mir besser, sobald ich weiß, was Sie in Ihrem Gutachten empfehlen werden.«
»Richtig«, sagt sie mit einem seltsamen Funkeln in den Augen. »Mein Gutachten. Ich nehme an, dass Sie eine positive Nachricht erwarten. Sie denken an unsere Gespräche, die so gut gelaufen sind – und so glatt. Wahrscheinlich sind Sie schon ganz gespannt und möchten wissen, zu welchem Ergebnis ich gekommen bin.«
»Ja, das bin ich.« Ich lasse mich ihr gegenüber nieder. »Sie wissen ja, wie viel davon abhängt.«
»Glauben Sie, dass Sie ein positives Gutachten verdient haben, Alice?« Sie spricht zu laut und klingt provozierend.
»Ich habe alle unsere Termine wahrgenommen, bin sogar zu Ihnen in Ihr grässliches Büro gekommen. Und ich habe mit Ihnen gesprochen.«
Cate Austin zieht einen Stoß Unterlagen aus ihrer Aktentasche hervor. Für ein Gutachten scheinen es mir zu viele Seiten zu sein. »O ja, Sie haben mit mir gesprochen, das will ich gar nicht bestreiten. Und ich habe Ihnen zugehört. Sie hatten Gelegenheit, Ihre Motive zu beschreiben und mir etwas anderes als eine Haftstrafe zu suggerieren. Zwei Fliegen mit einer Klappe, könnte man sagen.«
Ihre Augen werden schmal, in ihrer Miene liegt etwas wie eine Anschuldigung. Ich spüre, wie mir die Hitze in die Wangen steigt.
»Er hat seine Meinung geändert, nicht wahr? Er wollte gar nicht sterben.«
Sie schiebt den Papierstoß über den Tisch. Auf der obersten Seite steht ›Robin & Smith‹. Ich weiß sofort, worum es sich handelt. Vor mir liegt Smiths Tagebuch, das ich bisher nie gesehen habe. Wie ist es in ihre Hände gelangt? Mit einem Mal habe ich das Gefühl zu schweben, als würde ich gleich ohnmächtig.
Ihr Herz scheint zu schnell zu schlagen, das erkenne ich an dem raschen Heben und Senken ihrer Brust. Ihre Stimme verrät jedoch nichts von diesem inneren Tumult. »Sie haben ihn umgebracht.«
Ich starre auf den Papierstapel vor mir, tippe mit einem Finger darauf und reiße die Hand zurück, als hätte ich mich verbrannt. Ich lese nicht, was auf der ersten Seite steht, sondern hebe den Kopf und sehe Cate ins Gesicht. Sie ist blass geworden. Und noch etwas fällt mir auf, etwas, das ebenfalls neu ist: Sie ist wütend auf mich.
»Er hat eine Frau gesucht, die ihm hilft zu sterben. So stand es in seiner Annonce.« Sie holt tief Luft und versucht, Haltung zu bewahren. »Die Annonce hatte David Jenkins im Januar aufgegeben. Als er mehrere Monate später starb, hatte er sich umentschieden. Er wollte nicht mehr sterben. Stattdessen wollte er mit Ihnen verreisen und mit Ihnen zusammen sein.«
Ich möchte, dass sie still ist, aber sie spricht weiter.
»Lesen Sie sein Tagebuch, Alice. Darin steht alles. Über seine Zweifel. Seinen Sinneswandel.« Ihre Stimme ist sanfter geworden. Mein Körper verkrampft sich. »Und über seine Krankheit.«
»Welche Krankheit?« Ich habe keine Ahnung, wovon sie spricht, doch mein Instinkt erfasst eine Warnung, und mein Puls fängt an zu jagen. In meinem Nacken breitet sich ein dumpfer Schmerz aus, der die nahenden Kopfschmerzen ankündigt.
Die nächsten Worte flüstert Cate nur, doch jede einzelne Silbe beschleunigt meinen Herzschlag, bis es schließlich rast und ich merke, dass ich panisch geworden bin.
»Das Tragische ist, dass David ohnehin gestorben wäre. Das wussten Sie nicht, oder? Sie haben Ihren Eltern weismachen wollen, dass er an Krebs erkrankt sei, dabei litt er an der Creutzfeld-Jakob-Krankheit, die gleichermaßen tödlich ist. Wahrscheinlich hatte er nur noch wenige Wochen zu leben. Anfangs dachte er, dass er die Kontrolle behält, wenn er bestimmt, wann er stirbt, doch dann entschied er, dass er Sie nicht gefährden wollte. Er wollte Sie vor einer Ansteckung schützen. David wollte mit Ihnen verreisen, Alice. In die Länder Südamerikas. Er wollte mit Delfinen schwimmen. Er wollte leben.«
»Er hatte Angst, weiter nichts.« Mehr als diese Worte bringe ich nicht hervor, denn meine Kehle ist wie zugeschnürt. In meinen Ohren ist ein Klopfen, das einem gehetzten Rhythmus folgt. Die ersten Schwindelgefühle befallen mich, ich halte mich an der Tischplatte fest. »Er brauchte meine
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