Stirb mit mir: Roman (German Edition)
zurückkehrst, wird nichts gewesen sein.«
»Was wird nicht gewesen sein?« Ihr Leben? Ihr Kind?
Mrs Mariani hob eine sorgfältig gezupfte Braue. Es war eine Warnung. Sie hatte ihre Mahlzeit beendet und wünschte, dass dasselbe für ihr Gespräch galt. »Das Kind wird zu Menschen gegeben, die für es sorgen können. Du wirst die Schule abschließen.«
Mit einem Mal hatte Matty das Gefühl, als stecke etwas in ihrem Rachen. Das Essen konnte es nicht sein, sie hatte ja nichts davon angerührt. Vielleicht war es ein Schluck Wasser. Oder etwas anderes. Ein Stück ihres Herzens. Sie hatte nie darüber nachgedacht, das Baby wegzugeben, aber jetzt hatte sie offenbar gar keine andere Wahl. Sie senkte den Kopf und versuchte zu schlucken.
»Herrgott noch mal«, rief ihre Mutter. »Zieh bloß nicht so ein Gesicht. Glaubst du denn, für mich wäre das leicht?« Sie atmete aus und fasste sich wieder. »Jetzt verdanke ich dir auch noch, dass ich laut geworden bin. Du weißt, wie sehr ich das hasse.«
Damit stand sie auf und ließ Matty mit ihren Tränen allein.
Die Hände des Arztes waren kalt. Er drückte auf ihren Unterleib und auf eine Stelle unterhalb ihres Brustkorbs. Unter ihrem Rücken und ihren Beinen verschob sich die Papierauflage und bekam Knitterfalten. Über ihr brannte eine Neonröhre, deren Licht in den Augen schmerzte. Trotzdem wagte Matty es nicht, sie zu schließen. Der Druck seiner Hände war fest. Als er sie auf ihren harten, vorstehenden Bauch presste, betete sie darum, kein Wasser zu lassen. Der Arzt sah sie an, nur kurz, als forsche er in ihren Augen. Dann zog er den Vorhang zurück und wandte sich zu ihrer Mutter um, die am anderen Ende des Raumes saß und ihre Handtasche aus Lackleder umklammerte. Als er zu ihr trat, hielt sie ein Taschentuch vor den Mund, als müsse sie würgen.
»Sie ist im achten Monat. Wir werden ihr Blut abnehmen. Eine Urinprobe brauchen wir auch.«
»Wozu?« Angeekelt verzog Mrs Mariani das Gesicht.
»Um die Protein- und Eisenwerte Ihrer Tochter zu messen. Und ihren Blutdruck. Alles Routinetests, die noch gemacht werden müssen. Aufgrund ihres fortgeschrittenen Stadiums sollten Sie sich umgehend mit unserer Hebamme in Verbindung setzen.«
»Mich interessiert eher, was wir tun müssen, um es loszuwerden«, sagte ihre Mutter scharf und hielt das Taschentuch an ihr Kinn.
Der Arzt runzelte die Stirn. »Dazu ist es zu spät, Mrs Mariani. Das Baby ist nahezu ausgereift.«
»Ich spreche von Adoption. An wen müssen wir uns diesbezüglich wenden?«
Der Arzt warf Matty einen Blick zu, in dem mitleidige Resignation lag. Dann räusperte er sich. »Das regelt das Sozialamt für Sie. Ich werde die Hebamme bitten, den ersten Kontakt herzustellen.« Er wandte sich zu Matty um. »Weiß dein Vater, dass du schwanger bist?«
»Ihr Vater«, antwortete ihre Mutter giftig, »hat es noch vor mir gewusst.«
Die Freundlichkeit überwältigte Matty.
Allein in einem abgedunkelten Raum zu liegen und zu hören, wie die Hebamme sich für die spitze Nadel entschuldigte, als sie Matty Blut abnahm. Wie sie hinterher sagte: »So, damit ist das Schlimmste überstanden. Komm, setz dich auf. So ist es fein.«
Mit sanfter Hand tastete sie den festen Hügel ab, suchte nach dem Rücken, den tretenden Füßen und dem glatten Kopf des Babys in ihrem Bauch. »Eine schöne Größe«, erklärte sie und lächelte.
Es war das erste Mal, dass jemand Matty in ihrem schwangeren Zustand angelächelt hatte. Ihr Vater, ihre Mutter, die beiden Ärzte, Mr Ferris – alle hatten sie immer nur mit zusammengezogenen Brauen gemustert. Bloß die Hebamme lächelte, weil sie dachte, ein Baby müsse einen glücklich machen.
»Ich werde es nicht behalten«, sagte Matty. »Ich darf nicht.«
Die Hebamme tastete weiterhin ihren Bauch ab, blieb mit Matty verbunden, doch ihr Lächeln war erloschen. »Wer sagt das?«
Matty spürte ein schmerzhaftes Ziehen in ihrer Brust. »Meine Eltern.«
Da nahm die Hebamme ihre Hände von Mattys Bauch, zog ihr die Bluse behutsam herunter und reichte ihr ein Papiertaschentuch für die Augen. Matty hatte nicht einmal gemerkt, dass sie eins brauchte.
»Es ist dein Kind«, sagte sie. »Es gibt viele Mädchen in deinem Alter, die schon ein Baby haben. Es ist möglich, auch wenn es nicht leicht ist.«
Aber Matty wusste, dass es unmöglich war. Für sie gab es nur einen einzigen Weg, nämlich den ihrer Eltern. Sie musste das Baby weggeben.
»Es ist deine Entscheidung, Matilde. Du bist
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