Stirb mit mir: Roman (German Edition)
gemacht, und als er erfuhr, dass sie beide Raucher waren, soll er gesagt haben: »Geräuchertes Fleisch hält länger.« Das Verfahren dauert noch an.
Ich legte die Zeitung zurück auf den Nachbarstuhl, spürte meinen Gefühlen nach und fühlte meinen Puls. Er raste, allerdings nicht, weil ich schockiert war. Vielmehr war ich aufgeregt, weil ich den süßen Geschmack des Wiedererkennens gekostet hatte. Der Gedanke war lediglich in einem anderen Kleid zu mir zurückgekehrt. Auf Wunsch zu töten, war eine Vorstellung, die mir nicht unbekannt war. Der Zeitungsartikel war kein Same, der in mir gesät wurde. Hätte ich diese Phantasie vorher noch nie gehabt, dann hätte ich vermutlich einen Blick auf den Artikel geworfen und den Fall als abartig und pervers abgetan. Stattdessen nährte er etwas in mir, etwas, das bereits lebte, und ein Keim tief in meinem Inneren fing an zu sprießen. Eine Idee fing an zu wachsen.
Offenbar war es möglich, jemanden wie Bernd Jürgen Brandes zu finden. Einen Mann, einen Liebhaber, der den gleichen Wunsch hatte wie er. Natürlich konnte ich eine Anzeige aufgeben, aber wie sollte ich sie formulieren? Vielleicht konnte ich eine Nachricht per Computer versenden, sie an den Himmel malen und als Signal über die Meere schicken. Vielleicht gäbe es jemanden, der mir antworten würde. Theoretisch könnte es sogar der Mann sein, der im Supermarkt hinter mir in der Warteschlange steht. Oder einer von der anderen Seite des Ozeans. Das Internet konnte solche Entfernungen problemlos überbrücken, einen Faden spinnen, der zu einem festen Punkt führte. Es konnte ein Heim entwerfen, einen Ort der Ruhe für einen Gefährten, ehe er ausgelöscht wurde. Der Gedanke war erregend. Der Fall in Deutschland hatte mir gezeigt, was alles möglich war.
Doch damals war ich noch nicht so weit. Erst nach Jahren, ganzen sechs Jahren, begann ich, im Internet zu jagen, die Einträge zu lesen und zu warten. Lee war nicht mehr da, war nach Deutschland versetzt worden, und ich langweilte mich. Suchte nach etwas, ohne zu wissen, wonach. Das war mir erst klar, als ich die Anzeige entdeckte.
»Mann sucht schöne Frau für die Reise eines Lebens: Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von welchen mir Hilfe kommt. Wirst du mir helfen zu sterben?«
Die Anzeige hatte Smith im Januar des vergangenen Jahres aufgegeben, und ich antwortete spontan darauf. Im Februar besuchte er mich zum ersten Mal. Seinen richtigen Namen nannte er mir nie. Er wollte mich schützen. Das war unsere Abmachung. Ich gestehe, dass ich bei ihm war, als er starb. Ich sah zu, wie er die Überdosis nahm und sich ins Fleisch schnitt. Smith wollte sterben. Es war sein freier Wille. Sein Tod war Selbstmord. Ich habe ihm lediglich dabei geholfen. Wenn das Ende nahte, wollte er nicht allein sein. Wer will schon allein sterben?
Cate Austin versteht das nicht. Sie kann es gar nicht, denn sie ist Teil eines Systems, das an Recht und Vergeltung glaubt, was immer das auch heißen mag. Außerdem redet sie vom Gefängnis.
Heute kommt der Psychiater wieder zu mir. Auch er wird die Hände im Spiel haben, wenn es darum geht, über mein Schicksal zu entscheiden. Ich habe einen Entschluss gefasst: Ich werde selbst über mein Schicksal bestimmen. Ich werde mich nicht dem Urteil anderer überlassen. Es ist Zeit, zu handeln.
An das Gefängnis habe ich vorher keinen Gedanken verschwendet. Das tue ich erst, seitdem Cate Austin es erwähnt hat. Schon das Wort ist mir verhasst. Wenn ich nur daran denke, höre ich den Schlüssel, mit dem jemand die Zellentür zusperrt, und mich befällt das nackte Grauen. So, jetzt habe ich es ausgesprochen.
Smith ist seit sieben Monaten tot. In dieser ganzen Zeit habe ich mir kein einziges Mal vorgestellt, dass eine Gefängnisstrafe mein Schicksal sein könnte.
Sie glauben mir nicht? Na schön, natürlich wusste ich, dass die Möglichkeit bestand. Meine Anwälte haben mich darauf hingewiesen wie auf ein verdorbenes Stück Fleisch hinten im Kühlschrank. Kann man so etwas vergessen? Schließlich hat auch Armin Meiwes eine Gefängnisstrafe erhalten. In seinem Fall hat die Staatsanwaltschaft das erste Urteil infrage gestellt, und er wurde in zweiter Instanz wegen Mordes verurteilt. Allerdings war Meiwes auch so dumm, sich nach Brandes ein weiteres Opfer zu suchen und sich als kannibalischer Serientäter angreifbar zu machen. Damit wurde er zu einer Gefahr für die Gesellschaft. Mein Fall hat mit ihm nichts zu tun.
Folglich muss ich eine
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