Stirb mit mir: Roman (German Edition)
Korrektur der Aufsätze machen muss.«
Mein Büro ist recht groß, mit makellos weißen Regalwänden, in denen die Bücher nach ästhetischen Gesichtspunkten geordnet sind. Die orangefarbenen Rücken der Penguin-Reihe stehen zusammen, in anderen Regalen befinden sich in dunklen Farben ältere Romane, dann kommen die Taschenbücher in Rot, Rosa und Blau. Grüne Buchrücken sind eher selten, was einem nicht weiter auffällt, wenn man seine Sammlung nach Autoren oder Themen ausrichtet. Die meine ist alles andere als konventionell. Sie ist ein Kunstwerk.
Cate starrt auf die Buchreihen, als stünde sie in einer Galerie. »Wie finden Sie denn da ein Buch, das Sie suchen?«
»Ich schließe die Augen und stelle mir den Einband vor.«
Sie lässt sich auf dem Plastikstuhl nieder, auf dem vor der lächerlichen Suspendierung immer meine Studenten saßen. Ihr Jackett ist zugeknöpft und spannt über der Brust.
»Ich weiß leider nichts über Keats, aber ist sein Werk tatsächlich so zu verstehen, wie Sie es gesagt haben? Oder ist es lediglich das, was Sie bei der Lektüre empfinden? Denken Sie so über die Zeit? Glauben Sie, dass sie die Liebe zermürbt?«
Mein Schreibtischsessel ist aus braunem Leder, die Rückenlehne verstellbar. Als ich mich setze, lehne ich mich zurück, weg von Cate. »Dass die Zeit die Liebe und die Schönheit tötet, steht für mich fest. Ein perfekter Tod, insbesondere der eines jungen Menschen, ist wie eine in Bernstein gefangene Fliege. Jenseits von Zeit und Verfall. Ebenso wie die Feiernden in Auf eine griechische Urne von Keats werden Tote niemals altern. Nur der Tod oder die Kunst kann der Zeit ein Schnippchen schlagen.«
»Was ist denn dann mit der Liebe, die ewig währt, mit jenen Paaren, bei denen der eine dem anderen auch dann noch innig zugetan ist, wenn beide achtzig oder neunzig Jahre alt sind. Ist das nicht auch ein Weg, um der Zeit ein Schnippchen zu schlagen?«
Die Heizung ist weit aufgedreht. Cate scheint zu schwitzen, doch das Jackett legt sie nicht ab. Ich schenke aus einer Karaffe zwei Gläser Wasser ein und reiche ihr eins.
»Vielleicht. Dennoch wird Schönheit von der Zeit zerstört. Und sich vorzustellen, Liebe könne erhalten werden, ist riskant. Nach meiner Erfahrung vergeht sie.«
Sie widerspricht mir nicht. Stattdessen wandert ihr Blick durch den Raum zu dem großen Fenster, hinter dem die Studenten wahrscheinlich über den kalten Innenhof hasten. Ich schaue nicht hinaus, ich weiß, was dort zu sehen ist, und es langweilt mich. Stattdessen hole ich Cate zu mir zurück.
»Den Studenten bedeutet das nichts. Sie sind noch so jung, dass sie sich für unsterblich halten. Über den Tod wissen sie nicht das Geringste.«
»Ist das nicht ein wenig herablassend? Dass Menschen jung sind, muss nicht zwangsläufig heißen, dass sie nicht wissen, was Trauer ist.«
»Selbst wenn einer ihrer nächsten Angehörigen gestorben ist, wird dieser Tod ihnen weit entfernt vorkommen. Junge Leute betäuben sich mit der Sünde und dem Vergnügen. Sie sind viel zu sehr damit beschäftigt, das Leben zu genießen, als dass sie sich vor seinem Verlust fürchten könnten. Hier beispielsweise können sie es oft gar nicht erwarten, den Vorlesungssaal zu verlassen, um sich zur Kneipe des Studentenwerks aufzumachen. Nur deshalb sind sie an der Uni.«
»Das glaube ich nicht. Ich bin sicher, dass es eine Menge Studenten gibt, die hier sind, weil sie studieren möchten.« Ihr Ton ist scharf geworden.
»Schön wär’s. Ich sehne mich nach jungen Menschen, die tatsächlich begabt und um des Lernens willens hergekommen sind. Trotzdem gibt es Momente, in denen ich sie alle verachte. Ich sehe doch, wie sie während meiner Vorlesungen SMS schreiben, und muss immer wieder Arbeiten lesen, die sie sich aus dem Internet zusammenkopiert haben. Nicht einer von ihnen würde in seinem Zimmer sitzen und studieren, wenn er sich stattdessen irgendwo amüsieren könnte. Die englische Literatur halten sie für überkommen oder tot, ohne Bedeutung für ihr modernes Leben, in dem es um Rap, Horrorfilme, technischen Schnickschnack und anderen Firlefanz geht. Dass das, was sie tun, nichts Neues ist, kommt ihnen gar nicht in den Sinn.«
»Aber die Studenten auf dem Video waren von Ihrer Vorlesung total fasziniert. Nicht einer von ihnen wirkte unkonzentriert.«
»Weil ich alles gebe, um sie zu unterhalten. Deshalb ist es ja auch ein großer Fehler, dass man mich nicht mehr unterrichten lässt. In dieser Woche stand meine
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