Stirb mit mir: Roman (German Edition)
hysterisch geworden. Sie hat Gegenstände durch den Raum geworfen, geschrien, eine Vase zerschmettert und eine Scherbe an ihren Hals gehalten. Das Risiko, dass sie sich oder einem anderen Schaden zufügt, kann und darf ich nicht eingehen. Ich habe die zuständige Sozialarbeiterin kommen lassen, die meine Sorge geteilt hat. Danach habe ich Alice im Sankt Theresa in die geschlossene Abteilung bringen lassen. Sie war kaum noch zu bändigen und dermaßen hysterisch, dass sie kurz vor dem Erbrechen stand. Wir mussten sie ruhigstellen.«
»Warum sollte sie sich Schaden zufügen? Haben Sie nicht gesagt, dass sie sich zu allem berechtigt fühlt und von sich überzeugt ist? Warum sollte sie selbstmordgefährdet sein?«
»Das ist sie nicht, jedenfalls nicht im üblichen Sinn einer Depression und mit nach innen gerichteten negativen Gedanken. Dennoch würde ein Egomane sich töten, in einem grandiosen Akt und um etwas zu dokumentieren. Denken Sie nur an all die Sektenführer, die ihre Anhänger zu einem Massenselbstmord aufrufen. So verhalten sich Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Um sich an der Welt zu rächen, suchen sie sich einen möglichst großen Rahmen. Ich konnte es nicht riskieren, dass Alice etwas tut, nur um ihren Standpunkt zu demonstrieren.«
Cate fluchte innerlich. Wie hatte ihr entgehen können, dass Alice psychisch krank war? Sicher, die Arroganz war ihr aufgefallen, aber nicht dass die Frau eine Gefahr für sich selbst darstellte. Hatte sie Alice etwa falsch eingeschätzt? Um das zu beurteilen, war Dr. Gregg natürlich qualifizierter als sie, aber irgendwie war Alice ihr nicht wie jemand vorgekommen, der sich selbst verletzt oder selbstmordgefährdet ist.
»Wissen Sie schon, was Sie in Ihrem Bericht empfehlen werden? Einen Klinikaufenthalt statt einer Gefängnisstrafe?«, fragte sie.
»Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Abgesehen davon muss ich dazu vorher die Meinung eines zweiten Psychiaters einholen. Nicht zuletzt muss ich sicher sein, dass ich sie behandeln kann, denn meine endgültige Diagnose steht noch nicht fest. Zuerst warten wir einmal ab, wie sie auf den Klinikaufenthalt reagiert.«
»Ich würde sie gern besuchen.«
»Gute Idee, dann können Sie selbst sehen, wie sie reagiert. Sie dürfen sie allerdings nicht aufregen. Alice könnte gewalttätig werden.«
Cate sprach sich Mut zu. »Ich fahre heute Nachmittag zu ihr.«
»Hm, ich weiß nicht. Die Einweisung hat ihr extrem zugesetzt, deshalb führen wir ihr immer noch Beruhigungsmittel zu. Bei meiner Morgenvisite schlief sie. Wahrscheinlich wird sie noch eine ganze Weile benommen sein. Warum warten Sie nicht bis morgen?«
»Gut, dann eben morgen. Nochmals besten Dank für den Anruf.« Cate legte auf. Ihr war der Appetit vergangen. Sie warf das restliche Sandwich in den Abfalleimer, griff nach der Akte über den Fall Mariani und fragte sich, ob es darin einen Hinweis gab, irgendetwas in den Zeugenaussagen, das sie übersehen hatte.
Die Unterlagen der Staatsanwaltschaft, mit einem breiten roten Streifen versehen, waren am Vortag gekommen. Sie hatte sich eigentlich erst am Wochenende damit befassen wollen, wenn Amelia bei ihrem Vater war, doch angesichts der neuen Entwicklungen entschied sie, sich die Unterlagen sofort vorzunehmen.
Als Erstes stieß sie auf die Kopie eines handgeschriebenen Briefs, die sich gleich hinter dem Deckblatt befand. Bei näherem Hinsehen entpuppte sie sich als der Abschiedsbrief von David Jenkins. Er war mit schwarzer Tinte geschrieben. Die Schrift war klein und somit typisch für einen Menschen, dessen linke Gehirnhälfte dominierte. Winzige Zeichen und übermäßig gerundete Konsonanten. Das Schreiben war auf den fünfzehnten Juli des vergangenen Jahres datiert, der letzte Tag vor seinem Tod.
An alle, die es angeht
Für viele Menschen wird das Folgende keinen Sinn ergeben, aber das ist nicht entscheidend. Für mich ergibt es Sinn. Bitte entschuldigen Sie meine grauenhafte Handschrift. Auf einer Website, die sich mit dem Thema befasst, habe ich gelesen, dass handgeschriebene Abschiedsbriefe persönlicher wirken als getippte. Wenn ich mir die entsprechenden Websites ansehe, von denen es jede Menge gibt, wird mir klar, wie sehr die letzten Worte eines Sterbenden verdreht werden können. Deshalb sind diese Zeilen sehr wichtig. Ich möchte alles richtig ausdrücken. Nicht meinetwegen, sondern wegen Robin und dem, was sie riskiert.
Als Erstes möchte ich sagen, dass mein Selbstmord aus
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