Stirb mit mir: Roman (German Edition)
an Lees flache Brust. Dann schlang sie einen Arm um Lees Taille. Lee sagte: »Mmmh, schon besser«, und vergrub das Gesicht in Alices Haar.
»Du musst still liegen«, erinnerte Alice sie. »Nur ich darf mich bewegen.«
Brav schloss Lee die Augen und legte sich wieder auf den Rücken. Alice schob ein Bein über die Beine der anderen und drückte sich an sie. Lees Körper war fest und knochig, so wie es sein musste, denn dadurch flossen die Erinnerungen leichter. Alice spürte den warmen Körper, lauschte ihrem Herzschlag und wünschte, ihre Freundin würde das Spiel verstehen. Aber Lee war das Spiel lästig, sie seufzte und wurde erst wieder reglos, wenn Alice sie küsste. Alice liebte Lees Wange, die weich und warm war wie Teig.
Draußen war es kalt, und durch die Dielen zog es, doch die beiden Mädchen blieben zusammen auf dem Fußboden liegen, bis die schwache Sonne hinter den Wolken verblasste und der Geruch gedünsteten Gemüses aus der Küche aufstieg. Lees Magen fing an zu knurren, und Alice biss sie fest in die Wange.
»Autsch!«
»Du sollst still sein.«
Alice schloss die Augen. Sie roch weder das Essen aus der Küche, noch spürte sie die Kälte. Dafür erinnerte sie sich an den Geruch nach sauberer Haut, frischem Nagellack und altem Teppich. Sie roch Brot und Käse, der in der Sonne geschmolzen war, erinnerte sich an Liebe.
Alice wusste, dass Lee niemandem sonderlich auffiel. Sie hatte mausfarbenes Haar und braune Hundeaugen, doch gerade das Unscheinbare sagte ihr zu. Es bedeutete, dass Lee nur ihr gehörte und sie nie verlassen würde.
»Als ich ein Baby war, hatte ich Herzgeräusche«, flüsterte Lee stolz. »Mein Herz hat nicht richtig geschlagen.« Es klang, als verrate sie ein wundervolles Geheimnis.
Alice studierte Lees magere Brust, als könne sie durch den abgetragenen Pullover hindurch auf das Herz sehen und erkennen, warum es nicht richtig funktioniert hatte.
Nachts, wenn Alice im Bett lag, lauschte sie ihrem eigenen Herzschlag, dem steten Rhythmus, der sich beschleunigte, wenn sie zu fest an das Schlagen ihres Herzens dachte, bis sie Angst hatte, sie würde die Besinnung verlieren, wie ein Sportler, der zu weit gelaufen war. Sie überlegte, ob ihr Herz nicht richtig funktionierte und deshalb so wehtat.
Ihre neue Mutter versuchte, sie zu umarmen, aber Alice wich vor ihrem dünnen Körper mit den scharfen Kanten zurück. Ihre richtige Mummy war weich gewesen, nur konnte sie das niemandem erzählen. Wem denn auch? Sie hatte ein neues Zuhause und eine neue Familie, aber das Herz, das in ihrer Brust gefangen war, war immer noch dasselbe.
Achtundzwanzig
Cate Austin ist hier. Mir ist es lieber, wenn sie zu mir nach Hause kommt. Ich bin zwar anpassungsfähig wie eine Katze, aber es gibt Grenzen. Im St. Theresa war ich eine exotische Pflanze, umgeben von Unkraut, hier dagegen beherrsche ich die Umgebung, und das entspricht mir schon eher. Cate hofft natürlich, einen Sprung in meiner Fassade zu entdecken. Wenn ihr Gutachten Substanz haben soll, braucht sie einen Durchbruch. Natürlich weiß sie, wie schwerwiegend ihre Fragen sind, aber sie lässt nicht davon ab, kratzt an Narben, um zu sehen, ob sie noch bluten. Sie möchte erkennen, inwieweit wir uns voneinander unterscheiden.
»Ist Ihnen klar, weshalb die Verhandlung vertagt worden ist?«
Ich hasse es, wenn sie mit mir spricht, als sei ich geistig behindert. »Man möchte sehen, ob die Medikamente mich stabilisieren können. Anscheinend war ich vor ein paar Wochen nicht ausreichend stabil. Falls mein Zustand sich nicht bessert, wird ein Klinikaufenthalt in Erwägung gezogen, doch um das richtig einschätzen zu können, braucht man mehr Zeit.«
»Das ist einer der Gründe, Alice. Ich selbst brauche ebenfalls mehr Zeit.«
»Wissen Sie denn immer noch nicht, was Sie empfehlen sollen?«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich alles erfahren habe, was dazu erforderlich ist.«
Sie nagt an ihrer Lippe. Ich frage mich, was sie jetzt von mir hören will.
»Ich habe Ihre Eltern im Gericht gesehen. Oben auf der Zuschauergalerie. Sie wirkten beide angegriffen. Ihr Fall muss sehr hart für sie sein. Wie werden sie mit dem Wissen fertig, dass ihre Tochter jemandem Sterbehilfe geleistet hat?«
»Ich habe es ihnen so gut es ging erklärt«, entgegne ich, als sei es eine simple Aufgabe gewesen. »Am Tag nach Smiths Tod. Ich war ja nicht angeklagt, sondern auf freiem Fuß. Die Polizei wusste nicht, was sie mit mir tun sollte, und bat mich, in einer
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