Stirb mit mir: Roman (German Edition)
gesagt, dass ich mich für diese Form des Todes entschieden habe.
In ihrem Körper werde ich unsterblich sein.
Deshalb möchte ich, dass sie von mir isst.
Doch vorher muss sie es üben. Ich überlege noch, wie ich das anstellen soll.
Cate hörte auf zu lesen. Jetzt war ihr klar, warum David Jenkins seine Krankheit geheim gehalten hatte. Er wollte Alice infizieren, sie sollte ihm in den Tod folgen. Hätte sie gewusst, dass er an der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit litt, hätte sie sich niemals bereit erklärt, von ihm zu essen. Großer Gott, dachte sie. Was für ein abartiger Plan, den sein krankes Gehirn sich da ausgedacht hat. Hat Alice denn nicht einmal etwas geahnt? Ihr Freund hatte doch mit Sicherheit leidend gewirkt? Hätte sie ihn nicht wenigstens ein einziges Mal fragen müssen, weshalb er gegessen werden wollte?
Cate wurde übel. Um ihren Magen zu beruhigen, atmete sie ein paar Mal tief durch und lauschte der Stille des Hauses. Sie war froh, dass Amelia schlief, denn sie wollte ihre Tochter nicht einmal in der Nähe ihres Computers und damit der Perversionen von diesem Tagebuch wissen. Am liebsten läge sie nun selbst im Bett und schliefe, wenn auch nur, um nicht mehr an das Gelesene denken zu müssen.
Sie erinnerte sich daran, wie leid Jenkins ihr anfänglich getan hatte und dass sie seinen Wunsch zu sterben hatte nachvollziehen können. Jetzt, da sie wusste, dass er Alice hatte mitnehmen wollen, fragte sie sich, was in seinem Kopf vorgegangen war. Sie glaubte nicht an die Existenz des Bösen. Dank ihrer Arbeit wusste sie, dass selbst dem grausamsten Verbrechen eine Dysfunktion zugrunde lag, sei sie durch sexuellen Missbrauch, Drogensucht oder tiefgreifende Verlustängste zustande gekommen. Das Böse dagegen war etwas Statisches, ein rhetorischer Begriff für diejenigen, die ihre gesellschaftliche Mitverantwortung für die Verbrechen anderer nicht wahrhaben wollten. David Jenkins war nicht böse gewesen, allerdings waren seine Beweggründe, seine Entscheidung, Alice anzustecken, dermaßen berechnend und kalt, dass sie dem Bösen ziemlich nahekamen.
Cate wusste, dass der USB -Stick in die Hände der Polizei gehörte, doch zuerst musste sie das Tagebuch fertig lesen, musste das beenden, was sie begonnen hatte.
1. April
Mein Gehirn ist dabei, mir einen Streich zu spielen. Ich spüre, wie mein Gedächtnis nach Halt sucht, während es mich verlässt. Aber in einem dunklen Winkel meines Gehirns befindet sich eine verstaubte Datei, die noch intakt ist. Vorfälle aus der Vergangenheit können jederzeit abgerufen werden, nur die neuen Daten sind unzuverlässig.
Ich bin von meinem Tod besessen. Ich romantisiere ihn, ebenso wie die Schriftsteller und Künstler es tun, von denen Robin spricht. Vom Ende anderer Menschen bin ich ebenfalls besessen, bin fasziniert von plötzlichen Leiden und tragischen Unglücksfällen. Statt die Welt in Fakten und Variablen zu sehen, in Scheidungsrisiken und der Anzahl von Verkehrsunfällen, suche ich nach dem Außergewöhnlichen, den Todesfällen, mit denen keiner rechnen konnte. Ich möchte von sinkenden Schiffen lesen, von Matrosen, die die Passagiere ins eisige Meer geworfen haben, in einer Orgie mörderischen Selbstschutzes, einem Sterben, das mehrere Stunden angedauert hat. Es wundert mich, dass derartige Geschichten nicht öfter vorkommen. Einmal habe ich einen Bericht gelesen, nach dem Männer, die zum Überleben Menschenfleisch gegessen hatten, später an Esssucht litten.
Wenn ich Robin besuche, bestehe ich auf einer Fahrt ans Meer, die von Lavenham aus eine gute Stunde dauert. Sie mag die Küste nicht, doch das ist mir einerlei. Für mich ist das Meer eine graubraune Wassermasse, in deren Anblick ich mich vertiefe. Wenn ich ein Schiff am Horizont entdecke, denke ich an eine Reise, daran, an einem anderen Ort zu sein, wo ich mir selbst und meinem Schicksal entkommen kann und meine Ängste im Meer versinken lasse. Robin ist sowohl meine Fahrkarte als auch mein Ziel.
Ich sage es noch einmal, Krish: Wir Statistiker denken in Zahlen. Deshalb hier schnell ein paar: Im Jahr 1970, als die ersten Zahlen publik wurden, starben einundzwanzig Menschen an der Creutzfeld-Jakob-Krankheit. Im Jahr 2002 waren es siebenundsechzig. In diesem Jahr hat es in England bereits achtzig Todesfälle gegeben, mich eingerechnet. Zehn Prozent der Erkrankten haben die Symptome, die man sonst mit Alzheimer verbindet. Unter den Jüngeren setzt die Krankheit in einem Durchschnittsalter von
Weitere Kostenlose Bücher