Stirb mit mir: Roman (German Edition)
zu warnen, dass sie HIV-positiv ist.
Wahrscheinlich erinnere ich mich mit gutem Grund an die alte Aidsgeschichte. In den Achtzigerjahren waren die Leute von der Angst davor besessen und fürchteten, sich irgendwann bei irgendwem angesteckt zu haben. So nachvollziehbar das auch ist, heute sympathisiere ich mit dem Mann an Land. Wer möchte schon in seinen Schuhen stecken? Wer von uns erträgt es denn, allein zu leiden? Ich weiß, es ist egoistisch, aber ich möchte mit jemandem zusammen sein, der ebenfalls sterbenskrank ist, möchte mit ihm reden. Nur, wie soll ich das anstellen? Freiwillige gibt es nicht. Und wenn, sind sie rar. Trotzdem möchte ich nicht allein sterben.
Robin und ich treffen uns an den Wochenenden. Ich achte darauf, sie vor meiner Krankheit zu schützen, und verberge alle Anzeichen vor ihr.
Wir schlafen nicht miteinander, den sexuellen Akt wollen wir uns für die Stunde meines Todes aufheben. Ich versuche sämtliche Gedanken an ihre früheren Liebhaber zu verdrängen und rede mir ein, dass ihre Erfahrung ein Vorteil ist. Sie wird mich führen.
Mein Körper ist dabei, den Kampf gegen mein Gehirn zu verlieren. Mir helfen weder positives Denken noch Kräutertränke. Ich setze mich mit dem Tod auseinander, lese über andere Menschen und darüber, wie sie angesichts des Todes Kraft gefunden haben. Die Bibel dient mir ebenfalls als Wegweiser, schließlich ist sie ein episches Werk über das Sterben. Zuerst fiel mir Jesus ein, und ich las die Evangelien, dann wandte ich mich dem Alten Testament zu. Unter anderem stieß ich dort auf die Geschichte einer Frau, deren Nachbarin während der Belagerung durch das Heer des syrischen Königs mit einer Bitte an sie herantrat: Sie möge ihren Sohn als Speise opfern, die Nachbarin werde das Gleiche mit ihrem Sohn tun. Die Frau willigte ein, und sie töteten und verzehrten ihren Sohn. Als später dann der andere Sohn geopfert werden sollte, weigerte die Nachbarin sich, ihn herzugeben.
Jesus forderte seine Jünger auf, das Brot zu essen und den Wein zu trinken, denn es sei sein Leib und sein Blut. Was meinst du, Krish? Findest du, dass nur abartige Menschen Kannibalen sein können? Du glaubst an die Wiedergeburt des Menschen. Ist sie nicht ein Weg, um weiterzuleben und dem Tod ein Schnippchen zu schlagen?
Normale Menschen können durchaus etwas Anormales tun. Selbst als ich die Annonce längst aufgegeben hatte und die Frau suchte, die mir half zu sterben, war mein Leben noch normal. Selbst jetzt, nachdem ich die richtige Frau gefunden und entschieden habe, dass sie von mir essen soll, geht das Leben weiter wie bisher. Wenn das Wasser in meiner Dusche zu kalt ist, ärgere ich mich, ich rege mich über den Mist auf, der im Fernsehen gezeigt wird, oder werde sauer, wenn ich morgens feststelle, dass mir die Milch ausgegangen ist und ich deshalb keine Tasse Kaffee trinken kann. Das Übliche, trotz allem.
Nur ein paar Dinge haben sich geändert. Früher hatte ich die Küchenschränke voller Vorräte. Es war ein Zeichen meines Bedürfnisses nach Sicherheit und Ordnung oder meiner Besessenheit dank eines Gens in meiner DNA. Wenn inzwischen Baked Beans, Erbsen oder Nudeln ausgehen, kaufe ich sie nicht mehr nach. Wenn ich über Tod und Kannibalismus lese, kann ich nicht an Mahlzeiten denken, dann hungere ich nach Leere oder Geschichten, füttere mich mit Worten. All das gehört zu meiner Vorbereitung.
3. März
Opfer/n
Erstens bedeutet ›opfern‹, eine Sache für eine andere aufzugeben, für etwas, das wichtiger oder wertvoller ist. Zweitens steht es für das Schlachten eines Tieres. Auch dafür, dass man Dinge, die man besitzt, einer Gottheit darbietet. Drittens bedeutet es, eine Person zu töten, um eine Tat zu verhindern – sacrificium auf Lateinisch. Bei meinen Nachforschungen habe ich Geschichten über Menschen gelesen, die sich in der Vergangenheit geopfert haben. Jesus ist natürlich einer von ihnen. Selbstmordattentäter gehören ebenfalls dazu und noch etliche andere.
Ich habe die Geschichte eines Schiffs namens Mignonette entdeckt, das zwölfhundert Meilen vor dem Kap der Guten Hoffnung in Seenot geriet. Zwanzig Tage lang war die Mannschaft, die aus vier Männern bestand, ohne Nahrung und Wasser. Meerwasser konnten sie nicht trinken, denn sie glaubten, selbst ein kleiner Schluck würde sie töten. Das Regenwasser, das sie gesammelt hatten, war verseucht, ebenso das Schildkrötenfleisch an Bord. Letztendlich kippten sie beides ins Meer. Der jüngste
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