Stirb, Schätzchen, Stirb
»Einen Schützling. Dieser Ausdruck hätte ihr bestimmt gefallen. Nach allem, was ich bisher herausgefunden habe, hat sie ausschließlich Mädchen bei sich aufgenommen. Wozu durchaus passen würde, dass sie ihren Gast im Nachthemd empfangen hat. Weshalb hätte sie sich die Mühe machen sollen, sich einen Bademantel anzuziehen, wenn sie eine andere Frau erwartet hat? Man hat keinen Grund zu Sorge oder Angst, wenn man jemanden erwartet, den man schon als Kind geknechtet und, aus welchem Grund auch immer, selbst nach Jahren noch unter Kontrolle hat.«
»Wenn wir Zana glauben, wurde sie von einem Mann entführt.«
»Dann wären, unserer neuen Theorie zufolge, zwei Täter im Spiel. Oder Trudy hatte einen Partner, der die Sache fortführt. Ich werde mir erst mal genauer ansehen, wer alles als Pflegekind bei ihr gewesen ist.«
»Und ich werde weiter mit meinen Zahlen spielen.«
»Hast du schon irgendwas herausgefunden?«
»Noch nicht, aber es ist nur noch eine Frage der Zeit. Feeney hat uns einen Durchsuchungsbefehl besorgt, sodass ich nicht mal mehr auf die Computerüberwachung Rücksicht nehmen muss.«
»Was für dich wahrscheinlich nicht mehr halb so lustig ist.«
»Manchmal muss man sich eben bescheiden.« Er stand entschlossen auf. »Dann fahre ich wohl besser mit der Arbeit fort.«
»Roarke. Das, was ich vorhin darüber gesagt habe, dass ich häufig meine Arbeit und vor allem andere Polizisten mit nach Hause bringe. Ich hätte noch hinzufügen sollen, dass ich dich ständig in diese Arbeit einbeziehe.«
»Genauso häufig habe ich mich einfach ungebeten eingemischt«, räumte er mit einem leichten Lächeln ein. »Inzwischen habe ich gelernt zu warten, bis du mich darum bittest.«
»Ich erbitte immer alles Mögliche von dir. Ich habe nicht vergessen, dass du deshalb bei meinen beiden letzten großen Fällen ernsthaft verwundet worden bist.«
»Genau wie du«, erinnerte er sie.
»Das ist Teil meines Vertrags.«
Jetzt lächelte er derart breit, dass ihr Herz bei seinem Anblick einen Salto schlug, trat zu ihr hinter den Schreibtisch, griff nach ihrer Hand und strich mit einem Finger über ihren Ehering. »Meines Vertrages auch. Und jetzt mach dich wieder an die Arbeit, Lieutenant, ja?«
»Okay, okay. Fangen wir an, unser Gehalt zu verdienen.« Sie sah ihm hinterher, als er zurück in sein eigenes Arbeitszimmer ging, wandte sich ihrem Computer zu, rief die Liste von Trudys Pflegekindern auf und ging deren Lebensläufe durch. Eine saß zum dritten Mal wegen schwerer Körperverletzung im Knast. Sie wäre eine gute Kandidatin, säße sie nicht gerade in Mobile, Alabama, ihre Strafe ab. Um ganz sicherzugehen, rief Eve das Gefängnis an, dort wurde ihr bestätigt, dass die junge Frau sicher in ihrer Zelle saß.
Eine andere hatte sich als Tänzerin in einem illegalen Club in Miami ihren Lebensunterhalt verdient, eines Tages war eine Horde von verrückten Selbstmordattentätern -«die, wie sich Eve erinnerte, mit ihren eigenen und mit über hundert fremden Leben gegen das, was sie als Ausbeutung von Frauen sahen, protestieren wollten - in das Lokal gestürmt und hatte es gesprengt.
Die Nächste lebte in Des Moines, war zum ersten Mal verheiratet, arbeitete als Grundschullehrerin und hatte einen Sohn. Ihr Mann war Buchhalter, da sie zusammen nicht gerade schlecht verdienten, hatte Trudy sich vielleicht ja auch an sie herangemacht.
Eve wählte die Nummer in Iowa, eine erschöpft wirkende Frau kam an den Apparat und stöhnte angesichts des Höllenlärms im Hintergrund. »Ich verstehe wirklich nicht, weshalb man Weihnachten die Zeit der Besinnung nennt. Wayne, bitte, mach mal fünf Minuten leise, ja? Entschuldigung.«
»Kein Problem. Carly Tween?«
»Jawohl.«
»Ich bin Lieutenant Dallas von der New Yorker Polizei.«
»New York. Ich muss mich setzen.« Sie stieß einen lauten Seufzer aus und hielt die Kameras des Links zufällig auf ihren kugelrunden Bauch. Wenn sie hochschwanger war, kam auch sie als Täterin kaum in Frage, dachte Eve, fuhr aber trotzdem mit der Unterhaltung fort.
»Worum geht's?«
»Trudy Lombard. Sagt Ihnen der Name was?«
Carlys Miene wurde angespannt. »Ja. Sie war während einiger Monate meine Pflegemutter, als ich noch ein Mädchen war.«
»Wann haben Sie zum letzten Mal Kontakt zu ihr gehabt?«
»Warum? Wayne. Ich meine es ernst. Warum?«, wiederholte sie.
»Ms Lombard wurde ermordet, und ich ermittle in dem Fall.«
»Ermordet? Warten Sie, einen Moment, ich muss in ein anderes
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