Stirb schön
Augen verrieten ein gewisses Zögern, dann zuckten sie eindeutig nach links. Tom begann auszuweichen. Er würde sie belügen. »Nein, nicht dass ich wüsste.«
Danach überlegte Tom sofort, ob er ihnen nicht doch von dem Wodka erzählen sollte. Und von ihren seltsamen Kellie-Momenten. Doch er fürchtete nach wie vor, sie könnten daraufhin das Interesse verlieren.
Grace nahm die Tasse, stellte sie aber wieder ab, ohne zu trinken, und fixierte Bryce. »Hegen Sie die Befürchtung, Ihre Frau könnte eine Affäre haben?«
Augen nach rechts. »Absolut nicht. Unsere Beziehung ist sehr gut.«
Roy Grace fragte noch eine halbe Stunde weiter, worauf Tom sich vorkam, als hätte man sein Innerstes überaus professionell nach außen gekehrt.
Als er endlich die Tür hinter den Beamten schloss, fühlte er sich völlig ausgelaugt. Es war fast elf. Anscheinend war er einer der Hauptverdächtigen, was einfach total idiotisch war.
Tom schaute zur Wohnzimmertür. Er besaß kein Gästebett, aber der Familienbetreuer war völlig in seinen Reiseführer vertieft und hatte zuvor schon erklärt, er wolle die ganze Nacht aufbleiben.
Tom ging nach oben, fühlte sich aber viel zu aufgedreht, um an Schlaf zu denken. Zudem musste er noch einige wichtige E-Mails zur morgigen Präsentation verfassen und irgendwie die Kraft finden, sich darauf zu konzentrieren.
Er drückte eine Taste, um seinen Computer einzuschalten. Eine Fülle von E-Mails war eingegangen, doch bis auf ein halbes Dutzend blieben alle im Filter hängen. Sie kamen von Freunden, zweifellos irgendwelche Scherze. Eine von Olivia, seiner übereifrigen Sekretärin, die die Termine der kommenden Woche auflistete und sich erkundigte, was er für die Präsentation benötige. Eine stammte von Ivanhoe, dem Netzdoktor, dessen medizinischen Rat er abonniert hatte, den er aber nur selten las.
Die letzte Mail kam von scarabInc.com . Die Betreffzeile lautete:
Streng vertraulich.
Er klickte zweimal, um die Mail zu öffnen. Die Nachricht war kurz und nicht unterschrieben.
Kellie hat eine Nachricht für Sie. Bleiben Sie online.
60
UM 23.15 UHR saßen Emma-Jane Boutwood und Nick Nicholas noch immer am Schreibtisch. Alle waren nach Hause gegangen bis auf sie beide und Norman Potting, der gerade aufstand, seine Krawatte zurechtrückte und die Jacke anzog.
In den beiden anderen Arbeitsbereichen saßen noch einige Unentwegte zwischen leeren Kaffeebechern, Getränkedosen, Fastfoodschachteln und überquellenden Papierkörben. Morgens wirkte der Raum immer wie geleckt, dachte Emma-Jane, und abends roch er unweigerlich wie eine Kantine. Eine leicht widerliche Mischung aus gebackenen Zwiebelringen von der heißen Theke im Supermarkt gegenüber, Fünf-Minuten-Terrinen, Burgern und Pommes aus der Mikrowelle und Kaffee.
Potting gähnte ausgiebig und rülpste. »Ups, ist mir so rausgerutscht. Muss am indischen Essen liegen.« Er zögerte, als von den Kollegen keine Reaktion kam. »Ich bin dann weg.« Doch er rührte sich nicht von der Stelle. »Noch Lust auf ein Bier? Einen Absacker? Ich weiß, wo man noch was bekommt.«
Beide schüttelten den Kopf. Nick Nicholas schien in ein schwieriges privates Telefonat vertieft. Wie es aussah, wollte er seine Frau beschwichtigen, die sich über irgendetwas aufregte. Vermutlich darüber, dass ihr Mann sonntags um diese Zeit noch arbeitete. Obwohl sie es bedauerte, dass sie keinen Freund hatte – sie hatte vor einem Jahr mit Olli Schluss gemacht –, war Emma-Jane andererseits erleichtert, ungebunden zu sein. So konnte sie sich auf ihre Karriere konzentrieren, ohne ein schlechtes Gewissen deswegen zu haben.
Potting ignorierte die Tatsache, dass Nicholas telefonierte, und beugte sich vor. »Ihr habt nicht zufällig die Kricketergebnisse? Hab überall im Netz danach gesucht.«
Nicholas blickte hoch und schüttelte nur den Kopf.
Potting durchwühlte seine Hosentaschen und wiederholte: »Ich bin dann weg.«
Emma-Jane hob die Hand. »Schönen Abend noch.«
»Reicht gerade, um nach Hause zu gehen«, knurrte er. »Bis morgen um halb neun.«
»Ich freu mich drauf«, erwiderte sie scherzhaft. Sie trank einen Schluck Mineralwasser und schaute Potting nach. Ein formloser Mann im knittrigen Anzug. Obwohl sie ihn einerseits abstoßend fand, tat er ihr auch ein wenig Leid, weil er so furchtbar einsam wirkte. Emma-Jane beschloss, von morgen an netter zu Potting zu sein.
Sie schraubte die Wasserflasche zu und machte sich wieder an die Aussagen der Nachbarn von Reggie
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