Stirb schön
ihn als Verbündeten brauchte. Außerdem erfuhr er von ihm interessanten Klatsch über den Chief Constable, den Assistant Chief Constable und Chief Superintendent Gary Weston, seinen direkten Vorgesetzten. Ponds beklagte sich, dass Weston sich mehr für Pferde- und Hunderennen interessiere als für die Polizeiarbeit, und dass dieses Desinteresse innerhalb der Behörde allmählich auffalle.
Grace wusste, dass Ponds Recht hatte, Weston war nur noch selten im Büro anzutreffen. Und es war nicht klug, seinen Ruf derart aufs Spiel zu setzen. Vielleicht sollte er als Freund mit ihm darüber sprechen, aber wie? Außerdem wusste er, auch wenn er es sich nur ungern eingestand, dass er manchmal ein wenig neidisch auf Westons Lebensstil war. Er hatte eine Familie, die ihn vergötterte, anscheinend mühelos Karriere gemacht und bewegte sich gewandt auf dem gesellschaftlichen Parkett. Irgendjemand hatte mal gesagt: Wenn ein Freund von mir erfolgreich ist, stirbt etwas in mir. Was leider der Wahrheit entsprach.
Endlich ließ Dennis Ponds ihn allein. Sowie die Tür zugefallen war, blätterte er das Magazin durch. Binnen Minuten kehrte seine düstere Stimmung jedoch zurück, da auf jeder Seite ein anderer Look präsentiert wurde. Worin würde er modern und cool aussehen? Und worin wie der totale Loser?
Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. Selbst wenn er dabei das Gesicht verlor.
14
GRACE GING DURCH DEN SEKRETARIATSBEREICH , in dem Eleanor mit drei weiteren Management-Assistentinnen saß. Die vier Frauen arbeiteten für alle leitenden Kripobeamten bis auf Gary Weston, der eine eigene Sekretärin hatte.
Auf Eleanors Schreibtisch sah er eine hübsche Vase mit einem Strauß Veilchen, ein Foto ihrer vier Kinder ohne den Vater, ein halb gelöstes Sudoku-Rätsel aus der Zeitung und eine Butterbrotdose aus Plastik. Ihre Strickjacke hing ordentlich über der Stuhllehne.
Sie lächelte ein wenig nervös. Manche Dinge geschahen aus Erfahrung einfach automatisch, und so hatte sie wie immer, wenn ein neues Kapitalverbrechen geschah, seinen Terminkalender frei geräumt. Eleanor informierte ihn kurz über die drei Ausschusssitzungen, die sie für ihn abgesagt hatte.
Dann rief ihn seine juristische Beraterin Emily Gaylor kurz an und teilte ihm mit, dass er heute auf keinen Fall im Verfahren gegen Suresh Hossain gebraucht werde. Der Immobilienhai war angeklagt, einen Konkurrenten ermordet zu haben.
Durch die Glasscheibe zu seiner Linken blickte er in das imposante Büro von Gary Weston, der ausnahmsweise an seinem Schreibtisch saß und seiner Assistentin etwas diktierte.
Roy hielt seine Karte vor den Ausweisleser, stieß die Tür auf und betrat einen langen Flur mit grauem Teppichboden, der nach frischer Farbe roch. Er kam an einem roten, filzbezogenen Anschlagbrett vorbei, auf dem SOKO LISBON stand. Darunter hing das Bild eines chinesisch aussehenden Mannes mit flaumigem Bart, umgeben von mehreren Fotos des felsigen Strandes bei Beachy Head, die jeweils mit einem roten Kreis markiert waren.
Vier Wochen zuvor hatte man den bislang nicht identifizierten Mann tot am Fuß der Klippen aufgefunden. Zunächst ging die Polizei von einem Selbstmord aus, doch die Autopsie ergab, dass er zum Zeitpunkt des Sturzes bereits tot gewesen war.
Es folgte das Büro der Außenermittler und das des LEITENDEN ERMITTLERS, das Grace für die Dauer dieser Ermittlung beziehen würde. Unmittelbar gegenüber befanden sich die SOKO-Zentralen 1 und 2, in denen bei Ermittlungen von Kapitalverbrechen alle Fäden zusammenliefen. Er betrat Raum 1.
Trotz der blickdichten Fenster, die ohnehin zu hoch waren, um einen Ausblick zu bieten, wirkte der Raum mit den weißen Wänden luftig und verströmte pure Energie. Es war sein Lieblingsraum im ganzen Gebäude, und nur hier fand er etwas von der inspirierenden Betriebsamkeit, die er aus anderen Einsatzzentralen kannte.
Die L-förmige Zentrale sah geradezu futuristisch aus und hätte sich gut in Cape Canaveral gemacht. Im Gegensatz zu anderen Polizeibüros gab es hier keine persönlichen Besitztümer auf den Schreibtischen und an den Wänden. Keine Familienfotos, Fußballposter, Listen von Sportereignissen oder witzige Karikaturen. Auch hörte man keine freundschaftlichen Frotzeleien, hier dominierten stille Konzentration, das leise Gemurmel von Telefongesprächen und das schlurfende Geräusch von Laserdruckern, die fortwährend Papier ausspuckten.
Der neue Fall trug die Bezeichnung Soko Nightingale, einen
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