Stirb
Auch noch ausgerechnet an Barbaras freiem Wochenende.«
»Was ist mit mir?«, schlug Arne vor. »Ich kann mich doch hier in der Pension einquartieren und Lara mit den Kindern unter die Arme greifen – wofür hat man schließlich Familie?«
Frank kratzte sich an der Stirn und sah abwechselnd zu Arne und Lara. Seine Zweifel an der Idee, Lara mit Arne alleine zu lassen, standen ihm buchstäblich ins Gesicht geschrieben.
Freitagmorgen, 20. Mai …
Es war ein grauer und für die Jahreszeit ungewöhnlich nasskalter Morgen, als ob sich der Frühling von dem einen auf den anderen Tag von der Insel verabschiedet hätte und der Sommer erst gar nicht kommen wollte. Arne und die Kinder schliefen in dieser Herrgottsfrühe noch, als Lara den in die Jahre gekommenen Saab aus der Einfahrt lenkte, um Frank zum Hafen nach Sassnitz zu fahren. Sie nahmen die Zufahrtsstraße durch den Wald. Dichte, dunkelgraue Wolkenfetzen verschatteten den Himmel, und der stärker werdende Wind kündigte einen Sturm an. Lara kurbelte das Fenster hoch.
»Falls ich doch noch nachkommen soll, sag einfach Bescheid«, meinte sie und griff nach Franks Hand, bevor sie wieder das Steuer umfasste. Frank war unrasiert, und unter seinen Augen zeichneten sich dunkle Ringe und tiefe Furchen ab, als sei er über Nacht um Jahre gealtert. Er lehnte die Stirn gegen die Scheibe und gab ein kaum hörbares Schnaufen von sich.
Lara wusste, dass er nicht darüber sprechen wollte, obgleich ihm deutlich anzusehen war, wie sehr ihm die Situation zusetzte.
»Ist lieb von dir«, seufzte er, »aber wir haben das doch schon besprochen. Du bleibst bei den Kindern und siehst zu, dass die Pension weiterläuft. Und vergiss nicht, du hast mir fest zugesagt, heute Abend für mich auf die Bürgerversammlung zu gehen. Denn wenn –«
»Ja-ha, der Ausbau der Zufahrtsstraße, ich weiß«, entgegnete sie.
»Karoline, dir muss ich doch nicht erklären, wie es um unsere Finanzen steht und wie wichtig diese verfluchte Straße für die Anbindung der Pension ist!«
Sie nickte nur, und für eine Weile stand ein unangenehmes Schweigen zwischen ihnen. Die Baumwipfel bogen sich im aufkommenden Wind, das Unwetter kam deutlich näher. »Barbara ist derselben Meinung«, brummte Frank.
Lara wandte sich ihm erstaunt zu.
» Barbara? Barbara Linz?« Sie blickte ihn an, als ob er sie geohrfeigt hätte. »Seit wann bitte schön redest du mit unserer Haushälterin über unsere finanzielle Situation?«
»Ach, vergiss es einfach«, schnaubte Frank und rollte mit den Augen. »Wie du dir vorstellen kannst, habe ich andere Sorgen.«
Eine Spur verärgert richtete Lara ihren Blick zurück auf die Straße, als urplötzlich ein gewaltiger Ast auf die Fahrbahn krachte. Lara riss das Lenkrad in letzter Sekunde herum, trat auf die Bremse und brachte den Saab einige Meter weiter quietschend zum Stehen.
Erschrocken sahen Lara und Frank einander an.
»Alles okay?«, fragte er mit bebender Brust.
Lara schnappte kräftig nach Luft und nickte.
»Glaub schon, ist ja gerade noch mal gutgegangen.«
»Da siehst du, das passiert, wenn wir uns streiten«, meinte Frank, und dieses Mal war er es, der ihre Hand nahm. »Der Herrgott sieht eben alles.«
Lara hob die Brauen und erwiderte sein Lächeln.
»Hast ja recht.«
»Soll ich fahren?«, fragte Frank fürsorglich.
»Nein, nein … schon gut.« Nachdem sie sich von dem Schreck erholte hatte, startete Lara den Motor und fuhr vorsichtig weiter.
Als sie den Hafen erreichten, hatte die Fähre gerade angelegt. Horden von Touristen mit bunten Regenschirmen gingen von Bord. Manche von ihnen verbrachten das Wochenende auf Rügen, andere den ganzen bevorstehenden Sommer.
Lara hakte sich bei Frank unter, lehnte den Kopf an seine Schulter und brachte ihn noch bis zur Fähre.
Am Ende des Anlegers verabschiedeten sie sich mit einem innigen Kuss.
Der Wind wehte Lara die Haare ins Gesicht, und sie winkte Frank noch mit hochgezogenen Mundwinkeln nach, bevor er im Getümmel verschwand. Die MS Hammerodde legte um Punkt halb acht ab.
Lara hielt sich die Handtasche gegen den einsetzenden Platzregen über den Kopf und eilte zurück zum Wagen. Auf den Straßen hatte der Sturm bereits erste Schäden angerichtet. Lara konzentrierte sich auf die Fahrbahn und hatte Mühe, den abgebrochenen Ästen mit dem Wagen auszuweichen. Die Scheibenwischer kämpften unermüdlich gegen den prasselnden Regen an. Lara drosselte den Motor und fuhr nur noch Schrittgeschwindigkeit, als sie den
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