Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stoerfall in Reaktor 1

Stoerfall in Reaktor 1

Titel: Stoerfall in Reaktor 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Hänel
Vom Netzwerk:
dann angrinst und ihm kumpelhaft ihre Hand hinstreckt, sagt er nur: »Gib mir fünf, Partner, wir sehen uns!«
    Lukas und seine kleine Schwester klatschen sich ab, dann umarmt er kurz seine Mutter und geht zum Fahrstuhl, ohne noch etwas zu sagen.
    Als er auf die Straße tritt, schlägt ihm die Mittagshitze entgegen. Die Luft flimmert über den Autos auf dem Parkplatz, von irgendwoher hört er Techno-Gewummer. Er schiebt die Hände in die Hosentaschen und läuft los in Richtung Innenstadt. In der Marktstraße ist ein CD -Laden, in dem er schon lange nicht mehr war. Vielleicht findet er irgendetwas, was er Karlotta mitbringen kann. Vielleicht ein neues Hörbuch. Und für sich selbst die neue CD von den Arctic Monkeys . Falls sie so was in Hildesheim schon kennen. Und irgendwas für Hannah will er auch noch kaufen. Nein, eben nicht irgendwas, sondern was Besonderes. Ein T-Shirt mit einem Spruch wäre nicht schlecht. Vielleicht einer von den Chuck-Norris-Sprüchen, die gerade mal wieder auf Facebook rumgeschickt werden, und statt Chuck Norris einfach Hannah: »Nur Hannah kann sehen, wer dein Profil auf Facebook besucht hat.« Irgendwie so was vielleicht.
    An der Ecke zur Marktstraße kommt er an einem Zeitungskiosk vorbei. Heute Morgen lag die Zeitung wie immer bei ihnen auf dem Küchentisch. Aber weder er noch seine Eltern haben einen Blick hineingeworfen, er hatte sich ja mit seinem Vater gestritten und seine Mutter hatte ohnehin nur Karlotta im Kopf gehabt.
    Lukas greift sich eine Zeitung aus dem Ständer und blättert auf die Seite mit den Berichten aus der Region. Als Erstes springt ihm das Foto, das über dem Artikel prankt, in die Augen: Der Bürgermeister, der sich zu dem kleinen Kind beugt, und der AKW -Direktor daneben. Mit einem Lächeln im Gesicht, das wie festgefroren wirkt. Darunter die Bildunterschrift: »Gemeinsam in die Zukunft – der Leiter des Kernkraftwerks und der Bürgermeister von Wendburg im Fachgespräch mit einem zukünftigen Wissenschaftler.«
    Lukas kapiert gar nichts mehr.
    » ARGUMENTE GEGEN ANGST «, schreit ihm die Schlagzeile entgegen, als er weiterliest, und dann:
    »Gestern gab es an der Zufahrt zum Kernkraftwerk Wendburg eine spontane Versammlung, zu der die Selbsthilfegruppe der Eltern leukämiekranker Kinder aufgerufen hatte. Trauriger Anlass war der Tod der kleinen Leonie (7), die in der Nacht zuvor den Kampf gegen die heimtückische Krankheit verloren hatte. Sowohl der Wendburger Bürgermeister Karl Wollenschläger als auch der Leiter des Kernkraftwerkes, Dr. Jürgen Schröder, gaben ihrer Betroffenheit Ausdruck. Aber der Bürgermeister nahm die Aktion auch zum Anlass, um gemeinsam mit Dr. Schröder nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass es keinen gesicherten Zusammenhang zwischen Leonies Erkrankung und dem Werk geben würde. ›Wir dürfen uns in unseren Entscheidungen für die Zukunft nicht von Angst leiten lassen, sondern was zählt, sind einzig und allein sachliche Argumente, und die sprechen eindeutig für die Kernkraft als tragfähige Brückentechnologie, bis Wendburg endgültig vom Netz geht‹, so Bürgermeister Wollenschläger.
    Das Kernkraftwerk ist seit nunmehr über zehn Jahren in Betrieb, und der kleine Ort Wendburg profitiert von diesem Standort. Das Schwimmbad, die Tennishalle und das Kulturzentrum wären ohne das Kraftwerk nicht möglich gewesen. Der Bürgermeister sagte weiter dazu: ›Wir können uns glücklich schätzen, dass Wendburg sich zu einer blühenden Gemeinde entwickelt hat. Ob das auch in Zukunft so bleiben wird, bleibt abzuwarten. Das sind Entscheidungen, die wir leider nicht in der Hand haben.‹ Selbstverständlich werde man auch für die Restlaufzeit des Werks alles tun, um jedes Risiko für die Bevölkerung auf ein Minimum zu reduzieren. Dr. Schröder betonte abschließend, dass umgehend eine Untersuchung eingeleitet wird, um eventuelle Zusammenhänge zwischen Leukämie und einer möglichen Strahlenbelastung definitiv ausschließen zu können.
    Am kommenden Freitag lädt der Kernkraftwerksbetreiber ab 14 Uhr zu einem ›Tag der offenen Tür‹ ein. Hier können interessierte Bürger ihren Wissensdurst stillen. Auch ein Rahmenprogramm für Kinder wird es geben. Und vielleicht werden dann auch schon die Weichen für so manchen zukünftigen Wissenschaftler gestellt, wie den kleinen Philip (10) aus Süddeutschland, der mit seinen Eltern die Ferien in Wendburg verbringt und am Freitag unbedingt lernen will, wie so ein Siedewasserreaktor funktioniert.

Weitere Kostenlose Bücher