Stoerfall in Reaktor 1
›Früher wollte ich immer Baggerfahrer werden, aber ich glaube, Ingenieur ist doch besser‹, sagt Philip zu Bürgermeister Wollenschläger (siehe Foto). Nun, bis dahin ist sicher noch ein weiter Weg, aber aus so manchem Kindheitstraum ist schon Wirklichkeit geworden.«
Lukas’ Hände zittern so sehr, dass er kaum noch den Namen unter dem Artikel lesen kann: Michael Meyer. Aber der einzige Redakteur, der gestern vor Ort war, war doch dieser Gunnar Berger, der ihm seine Karte gegeben hat, denkt Lukas irritiert. Und was ist das überhaupt für ein Artikel? Das ist doch fast alles frei erfunden und es klingt eher wie ein Werbetext für eine Pro-Atomkraft-Broschüre. Kein Wort darüber, dass es mehr als nur den einen Leukämiefall in Wendburg gibt, nur hohles Geschwafel, als hätte der Bürgermeister den Text selbst geschrieben. Der ganze Artikel ist einfach nur dreist!
»Fertig?«, hört Lukas eine genervte Stimme. »Oder soll ich dir vielleicht noch einen Kaffee bringen?« Die Frau aus dem Kiosk blickt ihn böse an.
»Was?«, fragt Lukas.
»Nee, so nicht! Entweder du kaufst die Zeitung jetzt oder du verschwindest hier. Das gibt’s doch gar nicht, liest der hier in aller Ruhe meine Zeitung! Eine Unverschämtheit ist das! Bin ich vielleicht die Leihbücherei, oder was glaubst du, wo du hier bist? Ja, jetzt mach mal ruhig auch noch ein paar Knicke rein, damit ich sie gleich wegwerfen kann!«
»Regen Sie sich mal wieder ab, ist ja gut …« Lukas kramt sein Geld aus der Tasche und legt ihr zwei Euro auf den Plastikteller neben den Weingummis. »Der Rest ist für Sie. Aber trinken Sie nicht alles durcheinander, das kommt nicht so gut.«
»Unverschämtheit!«, keift die Frau hinter ihm her, als er sich umdreht und geht. »So was ist mir ja wohl noch nie passiert. Der gehört doch eingesperrt!«
Ein Geschäftsmann mit Anzug und Aktenkoffer verlangsamt seine Schritte und überlegt eindeutig, ob er eingreifen soll. Lukas festhalten und die Polizei rufen oder so was.
»Eins eins null«, sagt Lukas im Vorbeigehen. »Ist umsonst, der Anruf. Aber vielleicht sind die Bullen gerade zu beschäftigt, um zu kommen. Rufen Sie mal lieber gleich den Bundesgrenzschutz. Oder ein paar Scharfschützen oder so.«
»Was?«, stottert der Mann verunsichert. »Ich verstehe nicht …«
»War mir klar. Sie sehen auch nicht so aus, als ob Sie überhaupt irgendwas verstehen würden …«
Lukas lässt den Mann auf dem Fußweg stehen und läuft auf die Straße. Und direkt vor ein BMW -Cabrio, das gerade noch mit quietschenden Reifen zum Stehen kommt. Der Fahrer hupt und fängt an, Lukas lautstark zu beschimpfen. Langsam reicht’s, denkt Lukas. Er überlegt kurz, ob er mit der Faust auf die Motorhaube hauen oder irgendeinen Spruch ablassen soll. Aber dann lässt er es doch. Pass lieber auf, sagt er im Stillen zu sich selbst. Wenn du hier Vin Diesel spielst, bringt das gar nichts.
Er biegt in die Fußgängerzone ein und zieht die Karte von diesem Gunnar Berger aus der Tasche. Irgendwas ist doch faul hier. Und auf der Karte ist nur eine Handynummer, vielleicht ist er gar nicht bei der Zeitung. Oder er schreibt unter einem anderen Namen. Tut so, als ob er ernsthaft an irgendwelchen Informationen interessiert wäre, aber in Wirklichkeit wird er vom Energiekonzern dafür bezahlt, dass er dann so was abliefert wie diesen Artikel heute.
»Okay«, sagt Lukas laut vor sich hin. »Das haben wir gleich.«
Er schiebt sein Handy zurück in die Tasche und nimmt die nächste Seitenstraße nach rechts. An der Stadtbibliothek vorbei und noch mal durch eine kleine Gasse, bis er auf dem Platz mit den restaurierten Fachwerkhäusern steht. Das Zeitungsgebäude ist gleich gegenüber.
Am Empfangstresen sitzt eine junge Frau und feilt sich die Fingernägel.
»Entschuldigung«, sagt Lukas. »Gibt es bei Ihnen einen Gunnar Berger?«
Die Frau zuckt mit den Schultern und zieht ein Telefonverzeichnis aus der Schublade vor sich. Dann wählt sie eine Nummer. »Hier ist Besuch für Sie.« Sie deckt den Hörer mit der Hand ab und blickt zu Lukas: »Und Sie sind …«
»Lukas. Einfach nur Lukas.«
»Ein Lukas«, gibt die Frau weiter. »Ist gut. Sag ich ihm.« Sie legt den Hörer auf und zeigt auf eine Sitzgruppe aus schwarzem Leder unter einem großformatigen Foto, auf dem eine Druckmaschine zu sehen ist, aus der auf einer Art Förderband die fertigen Zeitungsseiten kommen. »Sie können da solange Platz nehmen, Herr Berger kommt gleich.«
Lukas setzt sich. Die
Weitere Kostenlose Bücher