Stoff für viele Leichen
Strauß echter Blumen und einem Strauß
künstlicher sah sie aus wie der unentschiedene Esel, und ihre Ohren verstärkten
noch den Eindruck.
„Kennen Sie einen Kollegen namens Victor
Marcellin?“ fragte ich Covet.
„Zur Genüge. Was hat er jetzt schon wieder
gemacht?“
„Ist das einer, der was macht?“
„Einer, der gerne was machen möchte. Aber dafür
geht er allen auf die Nerven, und dann noch so von oben herab. Wenn man ihn
hört, könnte man meinen, er drückt uns bald alle an die Wand. Frag mich nur,
womit. War beim Aujourd’hui. Hat sich aber so unmöglich benommen, daß man ihn gefeuert hat. Ungefähr seit
einem Monat hab ich ihn nicht mehr gesehen.“
„Ich suche ihn. Eine Erbschaftsangelegenheit.“
„Erbschaft? Vielleicht hat er also gar nicht mal
geblufft, mit dem An-die-Wand-Drücken. Viel?“
„Ziemlich. Hast du sonst keinen Tip für mich?“
„Nein. So intim bin ich nicht mit ihm. Ich weiß
nicht mal, wo er wohnt.“
„Das weiß ich wohl, aber in seinem Hotel ist er
nicht.“
„Ausgezogen?“
„Verschwunden.“
„Gott sei Dank!“
So übermäßig schien sich Marc Covet nicht für
das Schicksal von Victor Marcellin zu interessieren. Ihn plagte offensichtlich
etwas anderes. Persönliche Sorgen wahrscheinlich, Liebeskummer oder so was
Ähnliches. Da kam der Karikaturist Gus, ein sympathischer Lockenkopf. Er gab
uns die Hand, und bevor er auf die Terrasse hinausging, fragte er meinen Freund
mit einem leicht ironischen Lächeln:
„Na, was ist mit der Bombe?“
„Mach dir darüber nur keine Sorgen“, sagte
Covet.
Gus ging weiter.
„Es lebe die Anarchie“, sagte ich. „Sie basteln
an einer Bombe?“
„Äh...ja...ach, nur an einem kleinen Cocktail...
Wenn das so weitergeht, werd ich nicht viele dazu einladen. Ich weiß nicht, was
Victor Marcellin passiert ist, aber für seine Nachfolge ist gesorgt.“
Ich zeigte ihm mein leeres Glas, damit er es
beim Bezahlen nicht vergaß.
„Werd mal seine ehemaligen Kollegen vom Aujourd’hui interviewen“, sagte
ich.
„Ist jetzt der falsche Augenblick. Die haben im
Moment alle Hände voll zu tun. Ihre Wochenausgabe muß in den Satz.“
„Ich will nur ein Foto. Sie haben nicht zufällig
eins?“
„Was soll ich denn mit ‘m Foto von Marcellin? So
‘ne Fresse schleppt man nicht gerade gerne mit sich rum, nicht mal zwischen
zwei Zahlungsaufforderungen vom Finanzamt.“
„Wie sieht denn seine Fresse aus?“
„Die Fresse einer fünfundzwanzigjährigen
Rotznase, der meint, er hätt’s schon geschafft. Journalist wie im Film. Blond,
hager, kantig, etwas schiefer Zinken. Wo er doch so sehr fürs Kino schwärmt,
nehm ich jedenfalls an — von seiner Erbschaft kann er sich den ja von Dr.
Claoué geradesetzen lassen. Wär wirklich kein Luxus.“
Ich stand auf:
„Ich hätte trotzdem gern ein Foto.“
„Dann gehen Sie zu Roudil. Stellvertretender
Chefredakteur. Sagen Sie ihm, Sie kämen von mir.“
Der Portier beim Aujourd’hui (überall begegnet man so einem Wachhund!) führte
mich in die Setzerei. In der großen Werkstatt roch es nach Blei und
Druckerschwärze. Die Setzmaschinen klapperten nach Herzenslust. Als ich
eintrat, gellten Pfiffe auf. Die Lippen eines besonders Pfiffigen leiteten ein
richtiges Pfeifkonzert ein, das zu einem Sturm anschwoll. Ich hatte den streng
zu beachtenden Ritus vergessen, nach dem man an diesem heiligen Ort den Hut
abnimmt. Die sympathischen Revolutionäre dieser Zunft verstehen bei der
Höflichkeit keinen Spaß. Ich nahm also meinen Hut in die Hand, und das
Pfeifkonzert war beendet. Roudil stand über Druckformen und Bürstenabzüge
gebeugt und sprach mit dem Metteur. Ich stellte mich vor und erklärte ihm den
Grund meines Kommens. Er verzog das Gesicht und spielte den Betrübten: „Ach,
der Ärmste! Ist einfach so abgehauen? Da muß ich aber weinen!“
„Warten Sie damit, bis Sie mal Zwiebeln
schälen.“
Er prustete los:
„Sehr schön! Gut. Ein Foto...nein, ich hab
keins, Monsieur Burma. Wissen Sie, den Leuten im Archiv ist Martine Carol
lieber. Die Geschmäcker sind verschieden, hm?“
Ich ging wieder.
An der belebten Rue Montorgueil konnte ich mich
nicht gegen eine gewisse Beklemmung wehren. Ich kaufte eine Zeitung und suchte
nach einer Meldung über den Mord an Marion. Hundert Zeilen Blabla, zum Schluß
der übliche Satz: „Die Ermittlungen dauern an.“
Ich ging durch die Rue de Cléry in die Rue du
Mail. Hotel Macé, Ecke Rue Vide-Gousset, an der Place des Petits-Pères,
Weitere Kostenlose Bücher