Stoff für viele Leichen
auf. Eine massive Bleiplatte mit scharfen Kanten. Der
Drucker hatte sie sicher von seinem Arbeitsplatz mitgehen lassen. Ich hielt die
Waffe in der Hand.
Gonzalès kam wieder zu sich, schüttelte sich.
„Wir sind ein hübsches Paar“, sagte er.
„Hättest mich mit dem Ding hier umbringen
können“, sagte ich und wiegte das schwere Stück Blei in der Hand.
„Wär vielleicht kein großer Verlust gewesen.
Hätte mir nur viel Ärger eingebracht. Ich muß auch immer Scheiße machen. ‘Tschuldigung, hombre, aber wenn ich
Flics seh, seh ich rot. So ‘ne Scheiße!“
„Aber nein! Du hast eben Anarchistenblut. Kochst
über. Gut. Kommen wir zu Moreno zurück.“
„Wenn du willst. Bringen wir’s hinter uns, und
reden wir nicht mehr drüber.“
Jetzt drehte sich das Gespräch wieder um Moreno.
Wenn er noch lebte, mußten ihm die Ohren klingeln. Aber er war tot. Gonzalès,
der sich wieder ein wenig beruhigt hatte, bestätigte es mir. Ich glaubte ihm.
Wenn der lebende Moreno zurückgekommen wäre und der Spanier ihn bei sich
versteckt hätte, wie mir das einen Augenblick lang durch den Kopf geschossen
war, hätte der sich nicht unvorsichtigerweise zu so flicfeindlichen Ausfällen
hinreißen lassen.
Ich ging in die Agentur zurück.
Warum zerbrach ich mir eigentlich den Kopf?
Esther hatte mich bezahlt, damit ich sie vor Moreno beschützte. Jetzt war sie
tot. Außerdem hatte ich mir vorgenommen zu verhindern, daß Lévyberg durch die
Erpresser von Esthers Verrat erfuhr. Jetzt konnte es ihr nichts mehr ausmachen.
Sie war tot, wie gesagt. Alice zuliebe konnte ich vielleicht versuchen, ihren
oder ihre Mörder zu finden. Einen Würger, dem an der rechten Hand der kleine
Finger fehlte. Wie Moreno. Oder vielleicht einen Würger, der im Besitz aller
Finger war, aber so tun wollte, als ob...
Verdammt nochmal! Ich hatte Lévyberg nie
erzählt, daß Moreno tot war!
* * *
„Aber warum hätte Lévyberg diesen Mord begehen
sollen?“ rief Hélène, als ich ihr meine Entdeckung mitteilte. „Sie haben mir
logisch bewiesen, daß ein Skandal ihm schaden würde.“
„Er hat mir selbst anvertraut, daß er sich nicht
immer bremsen kann. Und ein Skandal... Sehen Sie sich die Zeitungen an. Er
wußte, daß er es vertuschen kann..."
„Bis er verhaftet wird, falls er der Täter ist.
Wird ihm wohl kaum gelingen, solch einen Skandal zu vertuschen.“
„Stimmt.“
„Nehmen wir mal an, er ist der Täter. Dann hat
er wohl von dem Verrat seiner Schwester erfahren?“
„Ja.“
„Durch Victor Marcellin?“
„Ja.“
„Dieser Waschlappen, der abgehauen ist?“
„Vielleicht ist das gar nicht so ein
Waschlappen, wie ich gedacht habe, Hélène.“
Sie schüttelte ihr hübsches Köpfchen. Das
kastanienbraune Haar tanzte um ihr Gesicht. Sie lächelte.
„Ich glaube, Nestor Burma, Sie müssen wieder von
Null anfangen.“
„Alles wieder
von vorne? Vielen Dank. Ich hab wirklich keine Lust, das mit Marion zum
Beispiel nochmal durchzuspielen.“
„Ich meine
das ernst“, erwiderte sie ärgerlich. „Keine Marion, auch kein anderes Mädchen.
Überlegen Sie mal...“
„Überlegen
Sie bitte für mich. Sie kommen nicht gerade aus einer corrida mit einem
wildgewordenen Torero! Hätte mich bald mit diesem stumpfen Gegenstand
erwischt... Oh! Scheiße!“
„Haben Sie
auch schon lange nicht mehr gesagt.“
„Stumpfer
Gegenstand! Der... Nein, ich phantasiere. Erzählen Sie, meine Liebe.“
„Sie haben
immer geglaubt, daß René Lévyberg bedroht wurde. Lind zwar mit den Dokumenten
über denVerrat seiner Schwester. Woher wollen Sie das wissen? Es handelt sich
bestimmt um ganz was anderes. Der Wirbel um Sie herum, seit Esther Sie besucht
hat! Steht doch in gar keinem Verhältnis zu dieser alten
Denunziationsgeschichte. Auch wenn Sie keinen Zusammenhang sehen wollen
zwischen dem Mord an Lemeunier, Dolivet... äh...Marion, Esther...ich meine,...“
„...mit Ihrer
weiblichen Intuition...“
„...daß da
einer besteht. Wenn Sie genau wüßten, welche Dokumente Marcellin besitzt,
würden sich vielleicht alle Geheimnisse lüften.“
„Sie haben
recht. Ich werde mich ernsthaft auf die Suche danach machen. Wenn er Lévyberg
etwas verkauft hat, muß ich wissen, was. Und wenn Esther dadurch beschuldigt
wird, wenn das den Beweis liefert, daß sie ihre ganze Familie an die Gestapo
verraten hat, auch auf die Gefahr hin, selbst dabei draufzugehen, dann haben
wir den Mörder. Gut. Als nächstes knöpf ich mir nochmal diese Clo vor
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