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Stoff für viele Leichen

Stoff für viele Leichen

Titel: Stoff für viele Leichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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nachgesehen. Er hat alles kaputtgeschlagen. Dann ist er abgehauen, wie
der Blitz. Hat mir noch Gemeinheiten zugerufen. Fast hätte er mich
geschlagen...“
    „Ich muß mit
Ihrer Nichte sprechen. Wann kommt sie nach Hause?“
    „Heute abend,
etwas später als sonst. Sie haben viel Arbeit...“
    „Gut, dann
kommen wir wieder...“
    Als wir
wieder auf der Straße waren, sagte ich zu Hélène: „Aha! Haben Sie kapiert?“
    „Er hat was
gesucht, aber nicht gefunden. Und das hat ihn so wütend gemacht.“
    „Genau.
Überflüssig zu fragen, was. Also hat er Lévyberg noch nichts verkauft.
Inzwischen gehen wir zu Marc Covets großem Empfang. Ich hatte eben ganz schön
Schiß. Werd wohl so langsam alt.“
    Wir gingen
durch die Rue Saint-Denis zur Rue Réaumur. Als wir uns dem Pressegebäude mit dem
Terrassencafé näherten, hörten wir plötzlich von der anderen Straßenseite einen
lauten, unnatürlichen Schrei. Dann fiel die junge Frau, die den Schrei
ausgestoßen hatte, in Ohnmacht. Sofort breitete sich Panik unter den Menschen
aus, die sich vor den Schaukästen der Tageszeitungen drängten. Autos hielten
an. Alle sahen nach oben, an der Fassade des Zeitungshauses hoch, konnten ihre
schreckgeweiteten Augen nicht von dem grauenhaften Schauspiel lösen. Vom Himmel
fiel eine Art Riesenvogel, der sich um die eigene Achse drehte und einen
dumpfen Klagelaut von sich gab, wie ein verwundetes Tier. Die verrenkten Arme
und Beine schwebten oder verdrehten sich. Die plötzliche Stille wurde durch das
widerliche Aufklatschen des Körpers auf dem Pflaster zerrissen.
    Etwas Zartes,
grün und malvenfarben, wurde schwerelos vom Wind aus der Bahn getrieben, die
der Mann bei seinem freien Fall verfolgte. Anmutig landete eine künstliche Iris
vor meinen Füßen. Ich hob sie auf, steckte sie ein und ging zu den erstarrten
Schaulustigen, die einen Kreis um den blutigen Körper gebildet hatten. Ein
weniger empfindlicher Mann, der wie ein Arzt aussah, bahnte sich einen Weg
durch die Menge, beugte sich über die Leiche, drehte sie auf den Rücken. Man
sah ein kantiges Gesicht unter blonden Haaren. Die unsanfte Berührung mit dem
Asphalt hatte seine Nase wieder gradegebogen.
    Monsieur
Marcellin, für die Damen Victor. Noch eine Leiche für Nestor!

13

Ein Zipfel des Schleiers
     
    Ich ging wieder
zu Hélène, die ich in dem ganzen Wirrwarr verloren hatte. Sie stand mit
aschfahlem Gesicht und zitternden Lippen neben dem Torbogen des Gebäudes.
    „Diese
Männer... diese Männer... “ sagte sie benommen. „Gehen wir nach oben, was
trinken, mein Schatz. Das wird Ihnen guttun.“
    Ich zog sie
zum Aufzug. Draußen hörte man die sich nähernden Polizeisirenen.
    Oben auf der
Terrasse beugten sich ‘ne Menge Leute gefährlich weit über das Geländer und
sahen auf die Straße runter, als wollten sie Victor Marcellin hinterherspringen.
Marc Covet wurde richtig umschwärmt und hielt eine Art Pressekonferenz ab. Auch
er sah sehr mitgenommen aus.
    „Und nun?“
fragte ich ihn. „War das die Überraschung?“
    „Verdammt
nochmal!“ schnauzte er mich an. „Ich hab Ihnen doch gesagt, daß das ‘ne
Nervensäge war.“
    „Viel ist da
nicht mehr zu sägen.“
    „Der
Blödmann! Roger konnte nicht mal Fotos machen...“
    Der
Pressefotograf neben ihm mit seiner Rolleiflex sah genauso hilflos aus wie eine
Henne mit einem Stehkragen.
    „Er kann ja
runtergehen und ein Paßfoto machen“, sagte ich. „Marcellin bewegt sich nicht
mehr.“
    „Um den
ging’s doch gar nicht
    „He! Covet!“
rief jemand von der Tür zur Bar. „Der Chef will dich dringend sprechen.“
    „Großer
Gott!“ fauchte mein Freund. „Nach dem Theater ist der glatt in der Lage und
feuert mich!“
    Er nahm die
Beine in die Hand und lief zu seinem Boß. Ich ging mit Hélène in die Bar und
mixte ihr eigenhändig einen Gesundheitstrank. Die blonde Kellnerin stand
zwischen den beiden Blumensträußen hinter der Theke und wußte nicht mehr, was
sie tat. Die Anwesenden waren völlig kopflos. Ein bärtiger Riese äußerte die
Meinung, Marcellin habe Selbstmord verübt. Aus Liebeskummer. Er hatte ihn
gesehen, vor sich hinträumend, eine Blume in der Hand. Ein sicheres Zeichen.
Die Kellnerin kam hinzu und stotterte, er habe die Blumen selbst gemacht und
ihr geschenkt.
    Dann traten,
wie bei Jack in the box, vier Flics aus dem Fahrstuhl, dessen Höchstlast
sie bei weitem überschritten hatten. Zwei in Uniform, zwei in Zivil. Sie
verlangten von jedem die Papiere. Wir mußten in der Bar

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