Stolen Mortality
dem Mädchen wegziehen, doch Jamian warf sich schon zurück und blieb auf dem Rücken liegen, den Blick gen Himmel. „Sie wird morgen die Kopfschmerzen ihres Lebens haben“, sinnierte er wie an die Sterne gerichtet. „Glaub e kaum, dass sie zur Schule kommen wird.“
„Geht’s dir besser?“
Jamian erhob sich etwas unbeholfen und stützte sich an einem Baum ab. Es müsste ihm nach dem Opfer blendend gehen, aber so sah er nicht aus.
„Noch ein bisschen wacklig.“ Es schien ihn zu irritieren, aber er übertünchte es mit einem Scherz. „Himmel, hat das finstere Mädchen zugeschlagen. All you can eat, by Jamie.“
„Scheint Spaß gemacht zu haben.“ Unsanft zog Junias Heather hoch und warf sie sich über die Schulter. Jamian schnalzte entrüstet mit der Zunge, aber Heather merkte ohnehin nicht mehr, wie man mit ihr umging. Junias riss langsam der Geduldsfaden. Jetzt musste er noch mal mit dem Mädchen durch die Straßen laufen. Noch mal das Risiko, gesehen zu werden. Und Jamian machte Späße. Haha, sehr witzig.
Er war heilfroh, als die Schulzicke wenig später wieder in ihrem Bett lag. Entspannen konnte er erst, nachdem er den Wagen abgeholt hatte und Jamian sicher auf dem Beifahrersitz saß. Angeschnallt! Nicht mal einem weiteren Blutsauger waren sie über den Weg gelaufen.
Auf der Fahrt nach Hause besserte sich Junias ’ Stimmung. Jamian hielt Augen und Mund geschlossen und meckerte nicht über seinen Fahrstil. Wenigstens wusste er, wann es angebracht war , zu schweigen. Gut ging es Jamie nicht. Er hätte noch einen Menschen nehmen sollen. Aber er meinte, ein bisschen Schlaf würde schon ausreichen und alles andere hätte bis morgen Zeit. Musste er selbst entscheiden, er wusste ja aus Prinzip alles besser.
Mit zu viel Tempo für die unübersichtliche Straße und ihre engen Kurven, die im Zickzack durch den Kiefernwald führten, raste Junias nach Hause. Doch als das abseits gelegene, baufällige Haus in sein Sichtfeld kam und er einen Wagen in der Einfahrt ausmachte, stieg er abrupt auf die Bremse. Der Mini geriet ins Schlingern und hinterließ nach Gummi stinkende Streifen auf dem Asphalt, ehe er stehen blieb.
Vor ihrem Haus stand eine Limousine, was mitten in der Nacht selten ein gutes Zeichen war.
Junias presste die Zähne aufeinander und starrte seinen Bruder an. Das war Jamians Schuld. Allein seine!
„Oha“, bemerkte dieser kühl, den Blick fest auf den fremden Wagen gerichtet. Sein Gesicht verriet keine Regung, aber Junias hörte sein Herz schneller schlagen.
„Die verlieren keine Zeit, was?“
Unsterblich
Der Wald lag hinter Laine wie eine düstere Wand, durch die sie ins Freie getreten war, wo es sich atmen ließ.
Sie blickte über die hügelige Landschaft, die sich vor ihr auftat. Kilometerweit kaum mehr als Gras und im Mondschein blau und violett schimmerndes Heidekraut, nur hier und da zerrissen ein paar bizarre Felsformationen, kleinere Schluchten und scharfkantige Steilwände den sanft erscheinenden Anblick. Ein raues Land, so lieblich es an manchen Orten auch scheinen mochte.
Laine mochte es, dieses Schottland; konnte sie es doch fast ihre Heimat nennen. Ihre vergessene Heimat. Vor vielen Jahren hatte Jonathan sie hier gefunden und zu sich genommen. An das Leben vor dem Kuss des Vampirs hatte sie keine Erinnerungen. Doch Jonathan hatte ihr erzählt, dass sie hier gelebt hatte, im Norden Schottlands. Wie lange war es her? Hundertvierzig Jahre oder auch hundertfünfzig.
Es kümmerte sie nicht weiter, Jahre hatten keine Bedeutung. Zu wissen, dass dieses Land zur Zeit ihrer Menschlichkeit vermutlich ebenso ausgesehen hatte wie jetzt, ließ sie dagegen nicht unbeeindruckt. Es legte ein warmes Band von verlorener Vertrautheit um ihre Brust, und wo Vertrautheit war, war Traurigkeit selten fern. In Gedanken versunken spielte sie mit der Muschel, die sie an einem Lederband um den Hals trug. Immer noch konnte sie das Meer an ihrem einzigen Schmuckstück schmecken, wenn sie mit der Zunge darüber fuhr. Ihre uralte, wunderschöne und grausame Freundin. Sie war dem Meer so nah und es hatte an den Küsten dieses Landes eine solch beeindruckende und wilde Schönheit wie an kaum einem anderen Ort der Welt. Manchmal glaubte sie selbst hier, im Landesinneren, den Erdboden unter ihren Füßen im Rhythmus der Wellen erzittern zu spüren, wenn das Wasser seine Gewalt an den Ufern ausließ, die sich dagegen lehnten, trotzig und willig zugleich.
Laine durchquerte weitab der Straßen die
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