Stolen Mortality
starrte auf seine Hände.
„Willst du draußen bleiben, June?“
Jamian hörte die Zähne seines Bruders knirschen. Junias zuckte nur, ein minimalistisches Kopfschütteln.
„Dann los, bringen wir es unter uns.“ Mit dem lässigsten Gesichtsausdruck, den er noch zustande brachte, begab sich Jamian zur Haustür, von Magnus dicht gefolgt. Er musste sich die Blöße geben, den Gesandten sehen zu lassen, wie seine Hände beim Öffnen des bockigen Türschlosses zitterten, und das ließ sie erst recht beben. Vor Wut. Am liebsten hätte er die Tür einfach eingeschlagen. Aber selbst das würde er in seinem Zustand kaum noch schaffen. Verdammt, er hätte doch einen weiteren Menschen nehmen sollen. Aber wie hätte er ahnen können, dass die Handlanger des Senats nahezu zeitgleich mit dem Urteil eintreffen würden?
Junias folgte mit einigem Abstand. Die Frau, die einen kleinen und unauffälligen Lederkoffer bei sich trug, trat zu ihm, berührte seinen Arm und murmelte ein paar beruhigende Worte. „Das ist alles nicht so schlimm, nur keine Sorge.“
Jamian hörte seinen Bruder trotz der Entfernung schlucken. Junias ’ Gedanken waren unkontrolliert, Jamian vernahm sein innerliches Fluchen, obwohl es nicht an ihn gerichtet war.
Komm schon, reiß dich zusammen, June!
Nein, es würde schon nicht so schlimm werden. Ab heute durfte er einfach nicht mehr sterben, solange ihn noch keine Sehnsucht nach der ewigen Verdammnis überkam. Das war fast schon alles.
Er führte seine ungebetenen Gäste in die spärlich eingerichtete Wohnküche und deutete ihnen knapp, auf dem Sofa Platz zu nehmen. Junias ließ sich auf einen der drei unterschiedlichen Stühle am Esstisch fallen, stützte die Ellbogen auf den Tisch und drückte das Kinn in die Handflächen. Sein Blick war starr auf die Tischplatte geheftet. Jamian lehnte sich an den Tisch und beobachtete, wie Magnus sich provokant auf das Sofa fläzte. Die blonde Frau stellte sich freundlich als Catherine vor und nahm auf dem Sessel Platz. Sie legte ihren Lederkoffer auf den Couchtisch über ein paar Zeitschriften, einem Notizblock und einigen Bleistiftskizzen ab, ohne sich darum zu kümmern, dass sie das Papier zerknickte.
Waren ja nicht ihre Zeichnungen.
„Gut. Jamian Cedric Bryonts“, begann sie förmlich, öffnete ihren Koffer und nahm zwei Schriftstücke heraus. „Ich nehme an, du weißt, warum wir hier sind, nicht wahr?“ Sie reichte ihm eine Kopie des Urteils und eine Anordnung des Senats, welche sie, Catherine Fraser, mit der Vollstreckung beauftragte.
Er zuckte mit den Schultern, tat, als ginge es ihn nichts an, weil ihm nichts Besseres einfiel, und legte die Dokumente achtlos hinter sich auf den Tisch. Die würde er sich sicher nicht einrahmen. Seine Aufmerksamkeit galt Junias. Bewegungslos saß dieser auf seinem Stuhl und gab keinen Laut von sich. Aber seine Gedanken brüllten wütend durcheinander, so laut, dass Jamian kein Wort verstand und sich am liebsten die Ohren zugehalten hätte. Was nicht sonderlich effektiv war, wenn man Stimmen im Kopf hörte.
Erneut forderte er Junias mental auf, sich gefälligst zusammenzureißen. Diesmal weniger freundlich.
„Können wir dann jetzt bitte anfangen?“ Catherine blieb höflich. Wenigstens besaß sie ausreichend Anstand, ihn nicht anzulächeln. „Umso schneller sind wir wieder fort.“
Geh hoch, June!
Nein ! , antwortete dieser deutlich durch den chaotischen Krach seiner herumwirbelnden Gedanken. Seine Augen verengten sich vor Wut. Jamian entkam ein gereiztes Knurren. Es war keine Zeit, um mit seinem pubertierenden Bruder zu streiten. Aber Junias ’ Blick machte klar, dass er bei dem, was nun folgte, nicht einfach zusehen würde. In seinem sonst so weichen Gesicht stand die pure Mordlust.
Catherine räusperte sich ungeduldig.
Nein, er durfte keinen Kampf riskieren. Nicht nur, dass Junias keine Chance gegenüber Magnus ’ besonderem Talent hätte; der Senat durfte vor allem keinesfalls von der außergewöhnlichen Stärke seines Bruders erfahren. Das Letzte, was Jamian gebrauchen konnte, waren an Junias interessierte Sesselfurzer. Sie würden ihn eher heute als morgen zum Jäger machen, wenn sie erführen, über welch immense Kräfte er verfügte.
„Wäre es möglich“, presste Jamian zwischen den Zähnen hindurch, „ dass wir bis zum Morgen abwarten? Bis mein Bruder in der Schule ist?“
„Nein“, kam die Antwort dreifach zurück. Wütend, wenn auch stumm von Junias, sanft von Catherine und höhnisch von
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