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Stolen Mortality

Stolen Mortality

Titel: Stolen Mortality Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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finden?“, lauteten die Worte, gesprochen von der warmen, sonoren Stimme Jonathans. Damals, vor so vielen Jahren, hatte sie diese noch ganz anders wahrgenommen. Doch nicht die Stimme hatte sich verändert, nur ihr Gehör nahm heute völlig anders wahr.
    Sie schloss die Augen. Es tat weh, nach den verlorenen Erinnerungen zu suchen, es hatte immer wehgetan. Der Versuch und ebenso das Scheitern. Doch erstmals fühlte sie, dass sie etwas finden würde. Als hätte sich eine geheime Tür gezeigt, die ihr bislang verborgen gewesen war. Hinter dieser Tür lag Schmerz, aber sie zögerte nicht und stieß sie auf.

    *
    Mondschein kräuselte sich durch einen Spalt der Leinentücher, mit denen die Fenster verhangen waren.
    Zu wenig, um einen Schatten zu werfen, er zauberte nur etwas Grau in die Schwärze. Eisiger Wind pfiff durch die Zwischenräume der grob zusammengezimmerten Holzbalken, aus denen ihr Vater die Hütte gebaut hatte. Er war kein guter Zimmermann gewesen, was der Familie jeden Winter schmerzlich bewusst wurde. Doch ihr Vater war stolz auf das Haus. Es hatte ihn einen Daumen gekostet, von all den kleineren Verletzungen ganz zu schweigen. Er zeigte sie gern und erzählte immer wieder ihre Geschichten.
    All das war nun nicht mehr wichtig. Sie verstand jetzt, warum die Mäuse wenige Minuten zuvor in Panik durch die Lücken und Löcher hinausgeflüchtet waren und warum das Bellen der beiden Hütehunde in einem Jaulen verklungen und verstummt war.
    Mit aufgerissenen Augen sah sie in das Dunkel der Hütte, presste den lautlos weinenden Körper ihrer Schwester an ihre Brust und wartete auf den Tod.
    Es war ganz still geworden. Wo waren die Schreie, die Kampfgeräusche, das schwächer werdende Röcheln ihres Vaters? Ihre Mutter hatte in Panik zunächst wilde Beschimpfungen ausgestoßen. Später waren die Laute zu einem schmerzerfüllten Wimmern geworden, doch immer noch hatte sie den Angreifer aufs Schärfste beleidigt. So, wie es ihre Art war, wenn jemand ihr Heiligstes, ihr Refugium, ihr Heim, unerlaubt betrat. Jetzt war Mutter still.
    Ihre Eltern waren fort. Auf dem Weg in eine bessere Welt.
    Selbst das absonderliche Schlürfen und Schlucken, das sie so irritiert hatte, war verstummt. Hatte der Mörder ihrer Eltern die Milch getrunken?
    Alles, was sie wusste, war, dass er nicht fort war. Er wartete in der Dunkelheit, ebenso wie sie.
    Sie hielt ihrer kleinen Schwester weiterhin den Mund zu, drückte Niamh gegen die Strohmatratze, sodass sich das Mädchen nicht durch eine Bewegung verriet. Er durfte Niamh nicht bekommen. Sie musste sie beschützen, es war ihre Aufgabe, Vaters Wunsch.
    „Rette deine Schwester!“, waren seine letzten Worte gewesen, als der Fremde die Tür eingeschlagen hatte. Sie durfte Vater nicht enttäuschen.
    Es war doch dunkel. Vielleicht fand der Mann sie in ihrer Schlafecke nicht. Vielleicht nahm er die Milch, das Brot, den Käse und alles Geld, und ging wieder fort.
    Stroh pikte in ihre Wange und ihr Augenlid, denn das Kissen war verrutscht, doch sie wagte nicht, sich zu rühren. Eine endlose Zeit hielt sie schon den Atem an. Nur wenn es nicht mehr auszuhalten war, gab sie nach und holte Luft. Jeder Atemzug schien schrecklich laut durch die Stille zu hallen, ihre eigenen fast noch lauter, als die flachen, hastigen ihrer Schwester.
    Abgesehen davon war es ruhig. Keine Schritte. Nichts.
    Wo war der Mann? War er womöglich doch gegangen?
    Ihre aufkeimende Hoffnung wurde zerschmettert, als die Stille brach.
    „Möchtet ihr nicht herauskommen?“
    Der Klang der Männerstimme war warm und weich und in jeder anderen Situation hätte er sie interessiert aufsehen lassen. „Ich sehe euch ja doch. Euch, die beiden Mädchen mit dem herbstroten Haar.“ Die Worte zerschnitten ihre Aussicht , zu überleben wie das scharfe Messer ihres Vaters den Leib eines Schlachtlammes. Dem getöteten Tier lief heißes Blut aus dem Körper und versank in der Wolle. Bei ihr waren es Tränen, die in die Locken ihrer Schwester sickerten.
    Wieder herrschte Stille vor und sie wünschte sich, der Mörder würde wieder sprechen. Alles war besser als diese schreckliche Lautlosigkeit, die sie nie in dieser Kate vernommen hatte. Es hatte doch immer Geräusche gegeben, und wenn es nur das leise Schnarchen des Vaters gewesen war oder das Rascheln der Mäuse.
    Plötzlich wurde ein Zündholz über eine Reibfläche gezogen, ein bläuliches Licht flackerte auf. Der Geruch von Schwefel war zu vernehmen und überdeckte für einen Moment den

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