Stollengefuester
Angstschweiß von den drei Eindringlingen.
»Als wir hinausgingen, da war noch etwas. Ein Geruch, der nicht dorthin gehört. Das muss dieser Kerl gewesen sein, dieser Kerl, der uns gestört hat.«
»Und was für ein Gefühl hast du, wenn du dich daran erinnerst?«
Nino schnaubte. »Du redest ja schon wie eine Fernseh-Psychologin!«
»Wie soll ich sonst fragen? Ich will nur wissen, was in dir losgeht, wenn du daran denkst.«
»Das kann ich dir ganz genau sagen: Ein absoluter Höllenschiss geht in mir los!«
Er lachte. »Hene hat geschwitzt wie ein Nilpferd. Vor Angst. Also, ehrlich gesagt, wie ein Veilchen hat keiner von uns gerochen. Als wir so dalagen. Das hätte voll daneben gehen können.«
Er verstummte.
»Wir lagen eine ganze Ewigkeit in diesem Dreck. Mäusedreck.«
Nore Brand zuckte zusammen.
Nino hatte den Unterkiefer nach vorne geschoben und starrte konzentriert in den Lichtkegel auf der Straße vor ihnen.
»Lach nicht. Ich bin doch deine Schnüffelnase, oder?«
Wehe, du hältst mich für ein Weichei, signalisierte sein Ton.
»Ich lache nicht«, sagte Nore Brand. »Vielleicht fällt dir noch mal etwas ein dazu.«
Nino erwiderte nichts.
Als sie auf ihrem Standplatz anhielten, ging das Licht im Nachbarbus an.
»Diese Schneeschnepfe kontrolliert uns tatsächlich. Führt sicher Buch darüber, wann wir kommen und gehen.«
Als es endlich ans Schlafen ging, trat ein, was Nore Brand befürchtet hatte. Die Sitzbank ließ sich mit keiner List bewegen. Sie blieb eingerastet. Nach einer letzten Serie von verzweifelten Versuchen gaben sie es auf.
Nore packte eine Decke, hüllte sich auf dem Beifahrersitz ein und schloss die Augen. Nino Zoppa tat dasselbe auf der hinteren Sitzbank. Nach einer Weile hörte sie ein Poltern. Nino Zoppa war offenbar auf den Boden gerutscht. Dann rührte er sich nicht mehr und schlief bald tief und friedlich.
Nore Brand fand lange keinen Schlaf. Sie drehte sich von einer Seite auf die andere, sie träumte von einem Meer von schmutzigen Edelsteinen und mitten darin lag sie selbst. Die Edelsteine waren geschliffen, zu kleinen Dolchen geschliffen, sie stachen und schnitten und ritzten ihre Haut blutig.
Am nächsten Morgen konnte sie sich kaum bewegen. Mühsam öffnete sie die Seitentür und stieg vorsichtig aus. Steif und starr. Eisige Kälte schlug ihr entgegen.
Sie erinnerte sich an ihren Traum und begann hektisch, ihre Jeans zu durchsuchen. Tasche für Tasche.
Da. Sie spürte ihn und zog ihn vorsichtig heraus.
Sie staunte. Sie hätte schwören mögen, dass sie den roten Edelstein an sich genommen hatte. Doch dieser hier war grün.
Seltsam.
Aber egal, sie hatte diesen Edelstein an sich genommen, ohne dass es die beiden gemerkt hatten.
Ihr war noch nicht einmal klar, warum sie das überhaupt getan hatte. Es war bestimmt nicht sehr professionell, hoffentlich aber sehr hilfreich. Unter Umständen konnte es die Ermittlung beschleunigen. Unangenehm wäre nur, wenn der Besitzer zu früh etwas merken würde. Das hingegen konnte dann wirklich ins Auge gehen.
Aber eben, manchmal musste sie sich über Paragrafen und Vorschriften hinwegbalancieren, um etwas Schwung in die Ermittlung zu bringen. Vermutlich hatte Nino genau das gemeint. Es war dieses Balancieren, das ihm ein bisschen italienisch vorkam an ihr.
Elvira Merian ist misstrauisch
»Für dich! Komm rein!«, rief Nino Zoppa aus dem Bus und wedelte mit dem Handy in der Luft.
Nore Brand kletterte zähneklappernd in den Bus.
»Noch ein Tag in dieser Kälte und du beherrschst sogar den tiefgefrorenen Kranich meisterhaft!«
»Lach du nur, aber ich komme wirklich langsam drauf, wie der Kranich auch bei arktischen Temperaturen seine Schwingen elegant ausbreiten kann.«
Nino wirkte frisch und dies hatte er ausschließlich seiner Jugend zu verdanken. Unter seinen Augen hatte die Nacht kaum Spuren hinterlassen.
Doch warte, auch an dir wird der Zahn der Zeit nagen. Dem entgeht keiner.
Nino lachte unverschämt. »Wenn der Kranich tanzt, dann balzt er, sagt mir Mr. Google. Weiß Jacques davon?«
Sie ignorierte seine Frage.
»Du weißt ja nicht einmal, was balzen heißt. Wer ist dran?«, fragte sie, bevor sie das Handy entgegennahm.
»Nimm’s! Es explodiert nicht!«
»Hier ist das Sekretariat von Nore Brand«, meldete sich Bärfuss gut gelaunt.
Nore Brand lachte nicht. »Was gibt’s?«
»Zuerst will ich wissen, wie es euch geht. Ich weiß, dass du Ferien hast, dass du somit frei entscheiden kannst, was du tust.
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