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Stolperherz

Stolperherz

Titel: Stolperherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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Greg und Max mitbekommen hatte. Weit und breit war niemand zu sehen und ich kontrollierte jetzt zum sicher hundertsten Mal die Uhrzeit auf der Displayanzeige meines Handys: 13:01 Uhr, kein Zweifel, ich war pünktlich. Erst hatte ich überlegt, später zu kommen, um einen allzu euphorischen Eindruck zu vermeiden, aber so viel Aufmerksamkeit wollte ich dann doch nicht. Außerdem hatten sich die restlichen vier Stunden in der Stadt als viel zu lang herausgestellt. In meiner Verzweiflung hatte ich einen Gloss gekauft, der die Lippen angeblich im Wassereisglanz scheinen ließ, und ihn auf dem Weg hierher sicher zwölfmal aufgetragen.
    »Was machst DU denn hier?«, hörte ich jetzt eine bekannte Stimme hinter mir. Ein bisschen zu grell für meinen Geschmack, es konnte also nur Michelle sein. Bingo.
    »Hallo … Michelle«, antwortete ich zögernd und presste ein schmales Lächeln heraus.
    »Du meinst doch nicht allen Ernstes, dass die Jungs DICH hier reinlassen?«
    Sie sprach das Wort DICH langsam und langgezogen aus, und so, als ob es der Name eines fiesen Insekts sei. Dann sah sie mich abschätzig von unten bis oben an, bis ihr Blick an meinen Haaren hängen blieb: »Oh mein Gott! Rooot! So was von out ! Unfassbar!«
    »Ich, ich … also ich …«, stotterte ich.
    Verdammt, wo waren die guten Sprüche, wenn man sie brauchte?
    »Ich habe sie eingeladen.«
    Hastig drehte ich mich um und sah, dass die Tür zur Kellertreppe, hinter der der Probenraum sich befand, offen stand. Greg war gerade herausgekommen.
    »Hi, Red.«
    »Ha-ei.«
    Michelle verzog ihr Gesicht, als hätte sie etwas Verfaultes im Mund und gab noch ein mitleidiges »Ach herrje!« von sich, bevor sie sich an Greg vorbei- und die Kellertreppe hinunterschob. Kira, die während der Szene vorher hinter ihr gestanden hatte, tat es ihr ohne ein Wort nach und Greg deutete mir an, dass ich ihm folgen solle.
    Mein Kopf war so heiß, dass man problemlos ein Spiegelei auf meiner Stirn hätte braten können.
    War das gerade wirklich passiert? Hatte Greg mich vor Michelle verteidigt?
    Na ja, verteidigt war vielleicht zu viel gesagt, aber immerhin hatte er Michelle dazu gebracht, ihre dämlichen Bemerkungen zu lassen, was selten vorkam. Mit weichen Knien folgte ich Greg den dunklen Treppenabgang hinunter.
    Tobi und Schleicher standen in der Mitte des Raumes und auch Crystals Schlagzeuger Alex, genannt Lex, war jetzt dabei. Er ging nicht auf unsere Schule und hatte deswegen heute Morgen gefehlt. Er war der unauffälligste der Crystal-Jungs. Mittelgroß, mittelschlank, mittelbraune Haare, mittellang. Er verwendete auffallend oft Fremdwörter und galt deswegen als kluger Kopf der Truppe. Damit konnte er so einiges kompensieren. Als Drummer war er in der Band außerdem so was wie das Zentrum und somit unersetzbar.
    Ich kannte mich aus im Kompensieren, hatte ich es doch quasi erfunden, indem ich mindestens ein Buch in der Woche las, um meinem stinklangweiligen Leben zu entfliehen und all das zu erleben, was mein eigenes Dasein nicht hergab. Lesen gab mir die Möglichkeit, im Kopf zu fliegen.
    Die Buchgeschenke meiner Mutter zeigten deutlich, welches Bild sie noch immer von mir hatte. Sie schenkte mirVampirbücher, während ich längst John Irving und Oscar Wilde las und John Green verehrte.
    Im Laufe der Zeit hatte ich mich zu einer Art Menschenscanner entwickelt, zumindest in der Theorie, da war ich echter Experte. Und so tippte ich, dass sich hinter Lex’ Fremdwörtern eigentlich ein eher unscheinbarer Typ versteckte, wäre er nicht gerade der Drummer von Crystal gewesen. Er war schon länger achtzehn, das wusste ich, weil er immer mit einem alten, ziemlich verbeulten, orangenen VW Bulli auf den Schulhof fuhr, um die anderen in den Pausen oder nach der Schule zu treffen. Zum Ärger der Lehrer stellte er ihn gerne auf deren Parkplätzen ab. Quer. Immer.
    Als Greg mit uns drei Mädchen hereinkam, drehte sich niemand um, und ich rettete mich direkt mit dem Rücken an eine der mit Holz verkleideten Wände am Eingang. Michelle und Kira stellten sich in die Mitte des Raumes, ich hatte es nicht anders erwartet. Selbst wenn der Raum stockdunkel gewesen wäre, hätte man Michelles Standort locker ausmachen können, denn ihr Gekicher war in Anwesenheit der Jungs gleich doppelt so schrill, als es ohnehin schon war.
    Greg ging zu den Jungs: »Ich w är dann so weit.«
    Die Musikgeräte standen alle an ihrem Platz, die Gitarren und der Bass in den für sie vorgesehenen Ständern und das

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