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Stolperherz

Stolperherz

Titel: Stolperherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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und nickte.
    Nach einem etwas zu langen Moment – Flocke war nicht unbedingt für sein brillantes Schnelldenken bekannt und ich wollte mich schon auf den Weg zurück nach Hause machen – ergänzte er nachdenklich: »Aber was ist, wenn dir was passiert?«, und legte dabei seine Hand auf die Stelle, an der er sein Herz vermutete. Er lag knapp zehn Zentimeter daneben.
    »Dann hatte ich ein paar echt geile letzte Tage«, antwortete ich und verließ das Zimmer.
    *
    In dieser Nacht schlief ich nicht. Ich lag in meinem Bett auf dem Rücken, die Arme hinter meinem hämmernden Kopf verschränkt, und starrte an die Decke, die von der Straßenlaterne vor meinem Fenster schwach angeleuchtet wurde. Es war schierer Wahnsinn, was ich vorhatte, und gleichzeitig fühlte es sich so richtig an, wie noch nie irgendetwas in meinem Leben. Außer vielleicht der Umstieg von den dämlichen BH -Tops zum A-Körbchen, der leider mehr zeitlich als körperlich überfällig gewesen war und den ich letztes Jahr im Dezember über die Bühne gebracht hatte. Ich hatte weder eine Ahnung, was ich auf der Tour eigentlich wollte, noch, wie es mit den Jungs, die ich im Grunde nur vom Sehen und von dem üblichen Schulhofgetratsche kannte, sein würde. Allerdings war diese Angst vor der eigenen Courage ein völlig neue s Gefühl, das ich gleichzeitig genoss. Mein Lebensradius hatte sich bis jetzt üblicherweise auf die fünf Kilometer von unserem Haus bis zur Schule und zu meinem Kardiologen Dr. Lund beschränkt. Eine Bewusstseinserweiterung würde mir ohne Zweifel guttun. Außerdem, träume ich weiter, gab es ja vielleicht doch eine klitzekleine Chance, dass Greg eventuell … Doch ich traute mich nicht, diesen Gedanken weiterzudenken, drehte mich auf die Seite und wickelte mich fest in meine Bettdecke ein. Es hatte irgendwie etwas Vermessenes, sich vorzustellen, dass Greg gerade mich gut finden könnte. Dass überhaupt jemand jemanden wie mich gut finden könnte. Lieben könnte. Flocke galt dabei nicht, er war ein Freak und Freaks zählten nicht. Aber ich musste den Tatsachen ins Auge blicken: In meiner erbärmlichen Liebesstatistik hatte ich weder quantitativ noch qualitativ etwas vorzuweisen. Im Grunde genommen war ich genauso ein Freak wie Flocke, nur unauffälliger. Und mit der Frage, die sich wohl jeder im Leben mindestens einmal stellt – Warum gerade ich? – und auf die ich zumindest heute keine Antwort bekam, schlief ich gegen kurz nach drei Uhr ein.
    *
    »Bist du sicher, dass ich dich vielleicht nicht doch zum Bahnhof bringen soll? Ich meine, dein ganzes Gepäck, das ist doch viel zu viel für dich!«, sagte Lisa, während sie die größte Tupperdose, die die Welt je gesehen hatte und die bis oben hin mit Gemüsesticks gefüllt war, in meinen Rucksack stopfte. Sie wirkte fahrig und dünnhäutig, noch mehr als sonst, wenn so was überhaupt möglich war. Mir fiel auf, dass ihre Gesichtsfarbe zwischen leichenblass und hellgrau changierte, was in diesem Fall optimal mit ihrem Look korrespondierte. Wahrscheinlich bereute sie unseren Deal von gestern längst und suchte nach Gründen, ihn rückgängig zu machen. »Es ist noch nicht mal richtig hell!«
    »Wir haben eine Abmachung«, sagte ich ruhig, während ich auf meinen Vollkorn-Cerealien herumkaute. »Ich will zur ersten Gruppensitzung da sein. Wenn, dann ziehe ich das von Anfang an richtig durch.«
    Lisa hob die rechte Augenbraue. »So engagiert habe ich dich selten erlebt.«
    »Ich will’s einfach nur hinter mich bringen, und diesmal richtig«, antwortete ich im Brustton der Überzeugung und wunderte mich über mich selbst.
    Ich hatte weder Hunger noch Appetit, jeder Bissen hing in meinem trockenen Hals fest und musste mit Orangensaft runtergespült werden. Aber ich hatte keine Lust auf noch eine Diskussion mit Lisa, und ohne Frühstück würde sie mich erst recht nicht fahren lassen. Das Taxi hatte ich extra so spät wie möglich bestellt, damit ich nicht die Erste war. Ich hatte immer noch keinen Plan, wie ich mich gleich verhalten sollte und hatte es auch aufgegeben, einen zu basteln. Was ich wusste, war, dass ich pünktlich am Probenraum stehen würde. Und das war in meiner momentanen Verfassung schon verdammt viel.
    *
    Ich hatte mit Flocke ausgemacht, dass ich ihn an der nächsten großen Kreuzung mit dem Taxi einsammeln würde. Lisa durfte auf keinen Fall mitbekommen, was ich vorhatte, und so hatte ich im Taxi noch einen Moment Zeit, mich zu sammeln, bevor Flocke mich mit seinen Reimen

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