Stolz und Leidenschaft: Roman (German Edition)
zurück und stand von der Tafel auf. »Dann werde ich meiner Tante und meinem Onkel eine gute Nacht wünschen.«
Er nickte. »Ich werde bald nachkommen.«
»Lass dir so viel Zeit, wie du brauchst«, bot sie unbekümmert an, obwohl sie alles andere als das war.
Caitrina hielt sich länger damit auf, sich von den Gästen zu verabschieden, doch schließlich wusste sie, dass sie das Unvermeidliche nicht länger aufschieben konnte. Sie machte sich auf den Weg zum alten Wohnturm, und Mor führte sie die Treppen hoch zum Zimmer des Chiefs. Zu Ehren des heutigen Anlasses hatte ihr Onkel ihnen seine Kammer für die Nacht überlassen. Morgen würden sie auf die Isle of Bute zurückkehren und auf Rothesay Castle als Gäste des Königs bleiben, während die Reparaturen an Ascog aufgenommen wurden.
Das Zimmer war groß und spärlich ausgestattet, und nur hier und da deuteten eine Stickereiarbeit oder ein Samtkissen auf die Anwesenheit ihrer Tante im Zimmer hin. Obwohl sie es ganz besonders vermied, in seine Richtung zu blicken, war sie sich des großen Himmelbetts mit den seidenen Vorhängen, das der Tür gegenüberstand, nur zu deutlich bewusst. Schnell verdrängte sie das plötzliche Herzklopfen wieder und kehrte dem unheimlichen Möbelstück den Rücken zu.
Mor huschte geschäftig durchs Zimmer, schwatzte über
die Ereignisse des Tages, erzählte ihr den neuesten Klatsch der Dienstboten – und tat alles, um das Thema der bevorstehenden Hochzeitsnacht zu vermeiden. Die leichtfertige Fröhlichkeit sah ihr so wenig ähnlich, dass Caitrina klar wurde, wie nervös die alte Amme sein musste, und das schürte nur ihre eigene Besorgnis.
Würde es schlimmer werden, als sie dachte?
Als der Zuber für ihr Bad bereitet und – soweit Caitrina es beurteilen konnte – jede einzelne verfügbare Kerze im Zimmer entzündet worden war, half Mor ihr wie jeden Abend dabei, ihr Kleid auszuziehen. Doch diese alltägliche und gewohnte Handlung hatte eine unangenehme Bedeutsamkeit angenommen. Mit jedem Kleidungsstück, das fiel, wuchs Caitrinas Nervosität und Aufregung darüber, was geschehen würde, so dass sie, als Mor ihr das seidene Nachtgewand über den Kopf zog, ihr Zittern kaum noch verbergen konnte.
Mor ging zu der Truhe mit Caitrinas spärlichen Habseligkeiten, die für diese Nacht ins Zimmer ihres Onkels gebracht worden war, und nachdem sie einen dicken, wollenen Umhang aus dem kleinen Haufen Kleidung gezogen hatte, reichte sie ihn Caitrina. »Zieh das an, Liebes. Du siehst aus, als würdest du frieren.«
Caitrina schlüpfte mit den Armen in die weiten Ärmel und band den Umhang fest an der Taille zu. »Danke. Es ist wirklich kalt hier drinnen.« Doch sie wussten beide, dass es nicht die Zimmertemperatur war, die sie zittern ließ.
Nachdem sie die Nadeln aus Caitrinas Haar gezogen hatte, machte Mor das Werk von Stunden in Minuten zunichte, und die langen, schweren Locken fielen ihr locker über den Rücken. Caitrinas Nerven waren so angespannt, dass sie jedes Mal beinahe zusammenzuckte, wenn Mors Finger zufällig ihren Rücken berührten, während sie ihr den Kamm durchs Haar zog. Als könne sie durch ihre Fürsorge das Unvermeidliche aufhalten, kämmte Mor ihr Haar, bis jede Strähne glatt
und seidig war und jede Locke in vollkommener Symmetrie lag.
Die gleichförmige Bewegung hatte etwas Beruhigendes an sich, und schließlich entspannte Caitrina sich und das rasende Schlagen ihres Herzens wurde ruhiger.
Sie wäre damit zufrieden gewesen, wenn Mor ihr das Haar ewig so weiterkämmen würde, doch der friedliche Augenblick wurde plötzlich durch das laute Klopfen an der Tür zerstört.
Sie keuchte auf, und Mor versteifte sich hinter ihr.
Die ältere Frau legte den beinernen Kamm auf den Ankleidetisch, fasste Caitrina beruhigend an den Schultern und drückte sie leicht. »Alles wird gut werden. Es wird etwas schmerzhaft sein«, flüsterte sie sanft, »aber nicht lange.«
Schmerzhaft? Caitrina nickte, ohne es zu wagen, Mors Blick zu begegnen, aus Angst, was sie vielleicht darin sehen würde – die Sorge und das Mitleid würden sie sicher die Kontrolle verlieren lassen, mit der sie ihre Gefühle im Zaum hielt. Die Angst, die sie bisher hatte unterdrücken können, traf sie nun mit voller Wucht.
»Der Bursche empfindet etwas für dich«, fuhr Mor fort. »Er wird dir nicht mehr als unbedingt nötig Schmerzen bereiten.«
Caitrina schluckte, doch ein dicker Kloß hatte sich ihr in der Kehle gebildet. »Ich weiß«, presste
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