Stolz und Verfuehrung
heiraten.
Nie hatte sie einen Gedanken an eine Heirat verschwendet, ohne ihn sich gleich darauf als unmöglich aus dem Kopf zu schlagen. Niemals hätte sie sich träumen lassen, dass sie eines Tages zum Altar schreiten würde, nicht als nach dem Tod ihres Vaters ihr die Verantwortung für die Geschwister übertragen worden war.
Es hatte also niemals einen Moment gegeben, in dem sie sich bewusst gegen eine Heirat entschieden hatte. Die Ehe war ihr nie als echte Möglichkeit erschienen, und deshalb hatte sie auch nie in diese Richtung geplant - nicht während all der Jahre, in denen sie als bessere Dienstmagd bei ihrem Onkel gearbeitet hatte. Und nach der Flucht aus seinem Haus hatte sie angenommen, dass eine Ehe für sie in noch weitere Ferne gerückt war - welcher Gentleman würde schon eine Gastwirtin heiraten?
Mehr noch. Sie war bereits fünfundzwanzig. Eindeutig ein sitzengebliebenes Mädchen, wenn auch noch nicht verstaubt.
Und jetzt wollte Jonas sie heiraten, gegen jede Wahrscheinlichkeit und all ihre Erwartungen.
Grüblerisch betrachtete sie das geschlossene Bestellbuch. »Was erwartet eine vernünftige und normale Frau von einer Ehe? Wonach sucht sie in einem Ehemann?«
Die gemurmelten Fragen bewiesen ihre völlige Ahnungslosigkeit. Obwohl es ihr gelungen war, die Fragen zu formulieren, wollten ihr die Antworten nicht spontan in den Kopf kommen.
»Miss?«
Em schaute auf und entdeckte Hilda in der Tür, die ihre Hände an der Schürze abwischte. »Ja?«
»Wenn Sie vielleicht einen Moment erübrigen könnten, Miss, und die Törtchen probieren würden? Ich glaube, die Kruste ist zart genug, aber ich hätte gern Ihre Meinung.«
»Selbstverständlich.« Sie erhob sich und folgte Hilda in die Küche. Natürlich war sie felsenfest davon überzeugt, dass Hildas Törtchen fabelhaft schmeckten, wusste aber ebenso gut, dass die ältere Frau ihr Urteil schätzte.
Und tatsächlich, das Gebäck war so köstlich, dass ihr das Wasser im Munde zusammenlief. Em zog ein höchst erfreutes Gesicht. »Die Törtchen sind ausgezeichnet, Hilda. Eine köstliche Ergänzung für unsere Speisekarte.«
»Die Törtchen sind genauso gut wie Ihre Pasteten«, stimmte Issy zu. Zusammen mit den Zwillingen hatte sie den Unterricht für eine Pause unterbrochen; der Duft des Gebäcks hatte sie unwiderstehlich angezogen. Em bemerkte, dass Issy sich sorgfältig die Finger ableckte, während die Zwillinge bereits nach Nachschub Ausschau hielten.
Em wandte sich an Hilda. »Wie viele können Sie bis zur Mittagszeit fertigstellen?«
»Zwanzig sind schon im Ofen. Wir können noch mal zwanzig vorbereiten, bevor die Stammgäste eintreffen.«
Stammgäste. Musik in den Ohren einer Gastwirtin. Der Geschmack des Törtchens kitzelte immer noch ihren Gaumen, als Em nickte. »Ja. Wir sollten die Törtchen für heute Mittag mit auf die Karte setzen. Wer heute keine bekommt, wird dafür sorgen, dass sie ihm das nächste Mal nicht entgehen.«
»Miss?« Edgar steckte den Kopf durch die Küchentür. »Die Martins, das Paar, das bei uns wohnt, möchte gern ein paar Worte mit Ihnen wechseln.«
»Ja, selbstverständlich.« Sie drehte sich um und fragte sich auf dem Weg in die Gaststube, ob die Martins mit irgendetwas unzufrieden waren. Als sie die beiden am Ende des Tresens erblickte, setzte sie ein Lächeln auf und ging zu ihnen. »Mr und Mrs Martin, ich hoffe, dass Sie Ihren Aufenthalt bei uns genossen haben.«
»Oh ja, meine Liebe!«, rief Mrs Martin begeistert. »Es war wunderbar behaglich. Und erst das Essen!« Sie wechselte einen kurzen Blick mit ihrem Ehemann und fügte dann hinzu: »Wir haben uns gefragt, ob es möglich ist, ein paar Tage länger zu bleiben?«
Erfreut zog Em das Reservierungsbuch unter dem Tresen hervor. »Ich denke, das lässt sich einrichten.«
Als sie die Martins für zwei weitere Tage eintrug, gestand Mr Martin ein, dass das Red Beils das erste Dorfgasthaus war, in dem sie mehr als eine Nacht verbracht hatten. »Mehrere Nächte verbringen wir gewöhnlich nur in den größeren Städten, aber es liegt etwas Beruhigendes über diesem Dorf. Wir hatten daran gedacht, einen Tag in Seaton zu verbringen. Ich nehme an, dass es hier im Haus einen Zweispänner gibt, den wir mieten können?«
Em versicherte, dass das Gasthaus den Anforderungen ge-recht werden könne, und schickte ein rasches Dankgebet zum Himmel, dass John Ostler die Kutschen in einem guten Zustand gehalten hatte und wusste, wo man ein Pferd leihen konnte. »Ich werde
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