Stolz und Verfuehrung
schaute über seine linke Schulter und versuchte zu denken - an irgendetwas, was nichts mit Jonas Tallent zu tun hatte.
Und nichts mit dem Gefühl, sanft in seinen Armen gefangen über das Parkett zu wirbeln. Von ihm geführt, beinahe gezwungen zu werden, und gleichzeitig auf ihn zu reagieren, als wären sie perfekt füreinander geschaffen.
Sich wie die eine Hälfte eines Ganzen zu fühlen, das sich wie vereint bewegt.
In der vergangenen Zeit hatte Em oft Walzer getanzt. Aber mit keinem anderen Mann hatte es sich so angefühlt wie mit ihm.
Niemals so angenehm, so lustvoll.
Noch immer konnte sie seinen Blick auf ihrem Gesicht spüren, wagte es aber nicht, ihm zu begegnen. Sie fühlte sich unglaublich lebendig, war sich seiner Gegenwart ungeheuer bewusst - seiner Brust, die sich nur wenige Zentimeter von ihrer entfernt befand, seiner langen, starken Schenkel, die sich bei den Drehungen zwischen ihre pressten, der Kraft seiner Arme und seiner schlanken Gestalt, als sie nach einer Lücke schauten und durch den Saal wirbelten. Em war davon überzeugt, dass er imstande wäre, die gesteigerte Empfindsamkeit in ihrem Blick zu entdecken, wenn sie ihn nur anschaute.
Jonas brauchte keinerlei Ermutigung. Er war ihr immer noch auf den Fersen, obwohl er in den letzten Tagen keine Versuche unternommen hatte, sie wieder in ein Gespräch zu verwickeln. Aber das, so wusste sie, gehörte zu seinem Plan. Nach ihrem letzten Streit, bei dem sie ihm vorgeworfen hatte, dass er kein ehrenwertes Ziel im Auge hatte, hatte er sich bestimmt überlegt, dass es klüger sei, größeren Abstand zu wahren, damit sie bei seiner nächsten Annäherung umso empfänglicher auf ihn reagierte.
Und genau so war es gekommen. Wenn sie auch nur ein Fünkchen Verstand in sich gehabt hätte, hätte sie diesem Walzer niemals zugestimmt, geschweige denn Pommeroy einen Korb gegeben.
Aber Em hatte Walzer tanzen wollen. Und trotz allem hatte sie mit ihm tanzen wollen. Mit Jonas.
Innerlich missbilligte sie ihr Verhalten. Am liebsten hätte sie sich eingeredet, dass sie sich für ihn entschieden hatte, weil sie vermutete, dass er ein ausgezeichneter Tanzpartner war. Aber es gelang ihr nicht, sich selbst anzuschwindeln; solche Überlegungen hatten bei ihrer Entscheidung kein großes Gewicht gehabt.
Irgendetwas anderes muss sich an ihren mühsam aufgetürmten Schutzmauern vorbeigeschlichen und sie insgeheim geleitet haben - irgendein idiotischer Impuls, den sie noch nicht gezähmt hatte.
Die Colyton-Seele in ihrem Innern war zu neuem Leben erwacht.
Dagegen würde sie sich schützen müssen. Und wenn ihr abenteuerlustiges Herz sich wegen Jonas schier zu überschlagen drohte, dann würde sie sich auch gegen ihn schützen müssen.
Mit aufrichtigem Bedauern hörte sie die letzten Takte der Walzermusik. Jonas wirbelte sie ein letztes Mal herum, bevor er sie zum Stehen brachte; sie trat zurück, löste sich aus seinen Armen und versank in einen Knicks.
Em erhob sich wieder und senkte den Kopf. »Danke. Das war ... ein Vergnügen.« Eigentlich war es eher verstörend gewesen. Und jetzt fühlte sie sich beinahe verloren, weil sie nicht länger in seiner Nähe sein durfte, nicht länger gefangen in seinen Armen.
Er lächelte, als wüsste er Bescheid.
Ihr fiel auf, dass er nicht gesprochen hatte, abgesehen von den ersten Worten - oder, besser gesagt, dass seine Zunge zwar stumm geblieben war, sein Tanz und ihre hellwachen Sinne hingegen für sich gesprochen hatten. Sie musterte ihn durchdringend.
»Ah ... Miss Beauregard. Bereit für den nächsten Tanz?«
Sie drehte sich um und entdeckte den wartenden Pommeroy, der sie anstrahlte, hörte die ersten Klänge eines Kotilions.
Offenbar sollte sie Buße tun. Em setzte ein Lächeln auf und streckte ihm die Hand entgegen. »Mr Fortemain.«
Er nahm ihre Hand, tätschelte sie, als er sie zurück auf das Parkett führte. »Pommeroy, meine Liebe. Pommeroy.«
Em fügte sich in ihr Schicksal, die Gentlemen bei ihren Vornamen zu nennen, und gab sich der nächsten Melodie hin.
Jonas schaute ihr noch einen Moment lang nach, machte sich dann auf die Suche nach Phyllida, die er zuvor in Lucifers Armen hatte herumwirbeln sehen.
Sein Spatz saß bis auf Weiteres im Käfig. Mit ihr war alles in Ordnung, in Lady Fortemains Ballsaal lauerten keine Gefahren. Ihm blieb genügend Zeit, seine Zwillingsschwester aufzuspüren und in Erfahrung zu bringen, welche Bücher Em sich von Lucifer ausgeliehen hatte. Vielleicht konnte er daraus
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