Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
gedachte sie seiner Werbung mit einem viel tieferen Gefühl, als der Gedanke daran bisher in ihr ausgelöst hatte, und in ihrem Ohr verblieb nurmehr der leidenschaftliche Klang seiner Stimme, der die Schroffheit seiner Sprache übertönte.
Nachdem sie im Hause alles gesehen hatten, was zu sehen war, gingen sie wieder hinab und verabschiedeten sich von Mrs. Reynolds, die nun dem Gärtner, der sie an dem Hausportal erwartete, die weitere Führung der Gäste überließ.
Als sie über den Rasen zum Fluß hinunterschritten, wandte Elisabeth sich um, um das Haus noch einmal zu betrachten. Ihr Onkel und ihre Tante blieben ebenfalls stehen. Während Mr. Gardiner Überlegungen über das mutmaßliche Alter des Gebäudes anstellte, tauchte plötzlich auf dem Weg, der nach hinten zu den Stallungen führte, der Besitzer selbst auf.
Sie standen sich kaum zwanzig Schritte voneinander entfernt gegenüber, und sein Erscheinen war so plötzlich gewesen, daß es Elisabeth unmöglich war, ihm auszuweichen. Ihre Augen trafen sich, beider Wangen bedeckte eine tiefe Röte; er fuhr im wahrsten Sinne des Wortes zurück und stand dann wie gebannt vor Erstaunen. Aber sofort faßte er sich wieder, schritt auf Elisabeth zu und sprach sie, wenn auch nicht mit besonderer Beherrschung, so doch mit großer Freundlichkeit an.
Elisabeth hatte sich bei seinem Anblick unwillkürlich halb umgedreht, als wolle sie forteilen; so stand sie da und hörte seinen Gruß mit einer Verlegenheit an, deren sie nicht Herr werden konnte.
Wenn die Ähnlichkeit mit dem Bild, das sie soeben betrachtet hatten, nicht genügt hätte, um Mr. Darcy zu erkennen, dann wären die Gardiners schon durch die Überraschung im Gesicht des Gärtners davon unterrichtet worden, daß sie jetzt dem Herrn von Pemberley gegenüberstanden. Sie hielten sich ein wenig abseits, während er mit ihrer Nichte redete, die, immer noch verwirrt, kaum die Augen zu heben wagte und sich später nicht mehr erinnern konnte, was sie auf seine freundlichen Fragen nach ihrer Familie geantwortet hatte. So sehr war sie über die Veränderung, die anscheinend mit ihm vorgegangen war, verwundert, daß jedes Wort von ihm ihre Verlegenheit noch vermehrte. Die wenigen Minuten, die sie so zusammenstanden, zählten zu den ungemütlichsten und peinlichsten ihres ganzen Lebens.
Ihm schien allerdings unter den gegebenen Umständen auch nicht viel wohler zu sein. Seine Stimme verriet nichts von seiner gewöhnlichen, ruhigen Überlegenheit, und er fragte so oft und so viel danach, wann sie von Longbourn abgereist seien und wie lange sie sich in Derbyshire aufhalten wollten, daß an seiner inneren Erregung gar kein Zweifel bestehen konnte.
Schließlich wußte er gar nicht mehr, was er noch sagen sollte; und nachdem sie sich einige Augenblicke stumm gegenübergestanden hatten, faßte er sich endlich und verabschiedete sich in aller Hast.
Die Gardiners traten nun wieder herzu, und während sie ihren Weg fortsetzten, unterhielten sie sich bewundernd von dem stattlichen Wuchs und dem sympathischen Gesicht des jungen Mannes.
Elisabeth aber war vielzusehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, um auch nur ein einziges Wort davon zu vernehmen oder ein einziges Wort hinzuzufügen. Ärger und Beschämung drohten sie zu überwältigen. Was für ein unglückseliger Einfall ihrer Tante, Schloß Pemberley besichtigen zu wollen — und wie unvorsichtig von ihr selbst, diesem Wunsche nachgegeben zu haben!
Was sollte er nur davon denken! Auf welche beschämenden Gedanken würde ein so eingebildeter Mensch kommen müssen! Die Deutung lag doch so nahe, daß dieses Zusammentreffen von ihr beabsichtigt war! Warum war sie nur hierher gekommen? Oder wieso war er einen Tag früher als erwartet zurückgekehrt? Wären sie nur zehn Minuten eher aufgebrochen, dann hätte er niemals Gelegenheit gehabt, sich jetzt in irgendwelchen peinlichen Mutmaßungen über ihren Besuch zu ergehen; denn er war fraglos soeben erst angekommen, vor wenigen Minuten erst vom Pferd oder aus dem Reisewagen gestiegen. Bei dem Gedanken an alle diese lächerlich dummen Zufälle, die das Zusammentreffen bewirkt hatten, errötete sie von neuem über und über. Und wie verändert er ihr vorgekommen war! Was konnte es nur damit auf sich haben? Daß er sie überhaupt ansprach, war schon erstaunlich, und daß er sich dann noch mit dieser auffälligen Herzlichkeit nach ihrer Familie erkundigte! Niemals zuvor hatte sie ihn so wenig auf seine Würde bedacht gesehen,
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