Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
längere Reise gemacht hatte, und danach unterhielten sie sich mit betonter Beharrlichkeit über die Landschaften und Städte, durch die sie gekommen war. Aber die Zeit sowohl wie Elisabeths Tante, beide schienen sich langsamer denn je fortzubewegen, und ihr Vorrat an malerischen kleinen Städtchen und an Geduld war schon beinahe erschöpft, als das Beisammensein endlich sein Ende fand.
Darcy bat auch Mr. und Mrs. Gardiner, doch noch einmal das Haus zu betreten und ein paar Erfrischungen zu sich zu nehmen. Die Einladung wurde aber dankend abgelehnt, und man schied voneinander mit größter Freundlichkeit. Darcy half den Damen beim Einsteigen, und Elisabeth sah ihn dann, als sie sich aus dem fahrenden Wagen lehnte, langsam ins Haus gehen.
Auf der Fahrt tauschten ihre Tante und ihr Onkel ihre Ansichten über den jungen Mann aus; beide stimmten überein, daß sie ihn sich nicht halb so angenehm und liebenswürdig vorgestellt hatten.
»Er ist außerordentlich wohlerzogen, höflich und zuvorkommend«, meinte Mr. Gardiner.
»Sicher tut er etwas sehr vornehm; vielleicht ist es auch nur Zurückhaltung«, sagte seine Frau, »aber das mag an seinem Ausdruck liegen und steht ihm recht gut. Ich kann jetzt auf jeden Fall mit seiner Haushälterin sagen, daß ich von seinem angeblichen Dünkel nichts bemerkt habe.«
»Mich hat kaum je etwas so sehr in Erstaunen versetzt wie sein Verhalten gegen uns. Er war richtig aufmerksam, obwohl er doch für eine solche Aufmerksamkeit gar keinen Anlaß hatte. Schließlich kennt er ja Elisabeth nur sehr flüchtig.«
»Das eine stimmt allerdings«, sagte Mrs. Gardiner zu Elisabeth, »er sieht nicht so gut aus wie Wickham, oder wenigstens besitzt er nicht dessen Eleganz; denn an seinem Gesicht ist ja eigentlich nichts auszusetzen. Aber wie bist du nur darauf gekommen, uns ihn als so unfreundlich zu schildern?«
Elisabeth versuchte sich, so gut es ging, herauszureden, meinte, er habe auch ihr schon in Kent besser gefallen als früher, und heute morgen habe er sich von einer ungewöhnlich netten Seite gezeigt.
»Es scheint mir immerhin zweifelhaft, daß er es mit seiner höflichen Einladung ernst gemeint hat, so liebenswürdig sie auch klang«, sagte Mr. Gardiner. »Das ist oft so die Art dieser vornehmen Herren. Ich werde mich jedenfalls hüten, ihn mit seiner Einladung zum Fischen beim Wort zu nehmen; morgen kann er schon anders darüber denken und mir womöglich den Eintritt in seinen Park verbieten.«
Elisabeth wußte, daß ihr Onkel sich jetzt in Darcys Charakter völlig geirrt hatte, aber sie sagte trotzdem nichts.
»Nach dem, was ich heute an ihm beobachtete«, setzte Mrs. Gardiner das Gespräch fort, »würde ich niemals glauben, daß er sich so gemein gegen irgend jemand betragen könnte wie gegen den armen Wickham. Dazu hat er einen viel zu offenen Blick und, wenigstens wenn er redet, einen gewissen weichen Zug um den Mund. Auch die Vornehmheit, die aus seiner ganzen Haltung spricht, läßt eigentlich nicht auf eine kleinliche Gesinnung schließen. Und mit welchem Feuer und Eifer die gute Alte sein Lob sang! Ich hätte ein paar Mal beinahe laut herausgelacht! Er ist wahrscheinlich ein sehr freigebiger Herr, und in den Augen von Untergebenen pflegt das der Inbegriff aller Tugenden zu sein.«
Elisabeth fühlte sich gezwungen, etwas zu seiner Verteidigung zu sagen, und gab ihren Verwandten daher in einer vorsichtigen Art zu verstehen, daß nach allem, was sie in Kent über ihn erfahren habe, seine Handlungsweise von einem ganz anderen Gesichtspunkt aus betrachtet werden könne und daß weder sein Charakter ganz so schlecht, noch der Wickhams ganz so einwandfrei sei, wie man immer angenommen habe. Zur Bekräftigung ihrer Worte erzählte sie alles, was sie über die Geldgeschichten zwischen den beiden wußte, ohne über ihren Gewährsmann mehr verlauten zu lassen, als daß sie ihn für durchaus vertrauenswürdig halte.
Diese Mitteilung erstaunte Mrs. Gardiner sehr, und sie wäre, um mehr zu erfahren, wohl hartnäckiger in Elisabeth gedrungen, hätte sich der Wagen nicht inzwischen zusehends der Stadt ihrer Jugendjahre genähert. Die Erinnerungen, die bei ihrem Anblick in ihr auftauchten, verdrängten jeden anderen Gedanken. Eifrig deutete sie dahin und dorthin, wo damals dieses und jenes geschehen war. So sehr sie der Spaziergang am Morgen auch ermüdet hatte, nach dem Essen ruhte sie nicht eher, bis sie ihre sämtlichen alten Bekannten aufgesucht hatte, und den Abend verbrachte man
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