Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
das Zimmer ihrer ältesten Töchter und rief in höchster Aufregung: »Jane, Jane, mach schnell! Beeile dich, du mußt sofort hinunter! Er ist gekommen — Mr. Bingley ist schon da! Ja, ja, wirklich! Los, los, beeil’ dich doch! Sally, komm her und hilf Miss Bennet bei dem Kleid! Lizzys Haare können warten!«
»Wir kommen herunter, sobald wir fertig sind«, sagte Jane. »Aber Kitty wird sich wahrscheinlich schon umgezogen haben; sie ist mindestens schon eine halbe Stunde vor uns hinaufgegangen.«
»Ach, Unsinn! Kitty! Was hat sie damit zu tun?! Schnell, schnell, rühr’ dich, meine Liebe! Wo hast du deine Schärpe hingelegt?«
Ihre Mutter stürzte wieder hinaus, und Jane beeilte sich nicht mehr und nicht weniger als die anderen; allein wäre sie doch um keinen Preis hinuntergegangen.
Mrs. Bennet legte es wieder darauf an, die beiden jungen Leute im Laufe des Abends irgendwie miteinander allein zu lassen. Nachdem der Tee gereicht worden war, zog ihr Mann sich wie jeden Abend in seine Bibliothek zurück; Mary ging ebenfalls, nicht ohne vorher verkündet zu haben, daß sie noch einige schwere Passagen eines Klavierkonzertes zu memorieren wünsche. Zwei von den fünf möglichen Hindernissen waren damit also aus dem Weg geräumt, und Mrs. Bennet brachte dann eine ganze Weile damit zu, Elisabeth und Kitty in einer, wie sie dachte, nicht mißzuverstehenden Weise zuzublinzeln, ohne jedoch viel Erfolg damit zu haben. Elisabeth schaute absichtlich weg, und als Kitty endlich aufmerksam wurde, fragte sie mit dem unschuldigsten Gesicht von der Welt: »Was hast du denn, Mutter? Warum blinzelst du mir in einem fort zu? Was soll ich denn?«
»Nichts, Kind, nichts. Du träumst. Ich habe doch nicht geblinzelt!«
Einige Minuten verhielt sie sich daraufhin ruhig; aber schließlich konnte sie es doch nicht länger mit ansehen, wie eine so günstige Gelegenheit ungenutzt vorbeigehen sollte. Sie erhob sich plötzlich und flüsterte Kitty zu: »Liebe Kitty, ich möchte dir gern etwas sagen.«
Damit nahm sie sie am Arm und ging mit ihr aus dem Zimmer. Jane warf Elisabeth einen Blick zu, der ihre Verzweiflung über die Taktlosigkeit ihrer Mutter sehr beredt zum Ausdruck brachte und ihre Schwester beschwor, sie jetzt nur ja nicht auch zu verlassen. Nach wenigen Minuten wurde die Tür halb geöffnet, und Mrs. Bennet rief ins Zimmer: »Lizzy, meine Liebe, auch mit dir möchte ich einmal reden.«
Elisabeth sah sich leider genötigt, diesem Ruf Folge zu leisten.
»Ich glaube, wir lassen die beiden am besten für ein Weilchen allein«, sagte Mrs. Bennet draußen zu ihr. »Kitty und ich sitzen oben in meinem Zimmer.«
Elisabeth wußte, daß es keinen Zweck haben würde, ihrer Mutter mit irgendwelchen Vernunftgründen zu kommen; sie wartete also unten, bis sie oben die Tür zum Zimmer ihrer Mutter ins Schloß fallen hörte, und kehrte dann zu ihrer Schwester und Bingley zurück.
Mrs. Bennet hatte heute kein Glück mit ihren Plänen. Bingley war zwar in jeder Beziehung so reizend, wie sie es sich nur wünschen konnte, nur benahm er sich durchaus nicht so wie der erklärte Liebhaber ihrer Tochter. Er erwies sich mit seiner heiteren, natürlichen Art als ein allen willkommenes neues Mitglied der abendlichen Tafelrunde; er ertrug die taktlosen Aufmerksamkeiten seiner Gastgeberin mit Gleichmut und hörte ihren albernen und dummen Bemerkungen mit gelassener Höflichkeit zu.
Es bedurfte kaum einer weiteren Aufforderung, damit er zum Abendessen blieb; und bevor er sich verabschiedete, hatten er und Mrs. Bennet für den nächsten Tag eine Verabredung zur Jagd mit Mr. Bennet getroffen.
Nach diesem Tag sprach Jane nicht wieder von ihrer Ruhe und Gleichgültigkeit, und über Bingley wurde zwischen den Schwestern kein Wort mehr gewechselt, aber Elisabeth legte sich an diesem Abend mit der frohen Gewißheit zu Bett, daß das glückliche Ereignis nur noch wenige Tage auf sich warten lassen werde — falls Darcy nicht früher als vorgesehen zurückkehrte. Insgeheim zweifelte sie jedoch nicht mehr daran, daß Bingleys erneutes Werben um Jane bereits die Billigung seines Freundes gefunden habe.
Bingley hielt seine Verabredung pünktlich wie immer ein, und er und Mr. Bennet verbrachten den Morgen zusammen auf der Jagd. Zum Essen kehrten beide nach Hause zurück. Vom frühen Nachmittag an war dann Mrs. Bennet wieder angestrengt darauf bedacht, Mittel und Wege zu finden, um ihren Gast und ihre Älteste von der störenden Gesellschaft ihrer anderen
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