Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
Gewand des Seelenhirten steht in keiner Weise dem Purpurmantel des Königs an Würde nach — vorausgesetzt, daß es stets mit einer gebührenden Bescheidenheit des Herzens getragen wird. Sie werden es mir daher nicht verübeln, wenn ich in diesem Fall der Stimme meiner inneren Überzeugung folge, die mich meine Pflicht zu tun heißt, wie ich es Ihnen soeben auseinandersetzte. Verzeihen Sie, daß ich davon absehe, Ihrem Rat Folge zu leisten, wie ich es sonst und in Zukunft zu tun immer bemüht sein werde, aber ich glaube, durch meine Erziehung und mein unermüdliches Studium besser in der Lage zu sein, in dieser Situation eine Entscheidung zu treffen, als eine junge Dame wie Sie.«
Und damit verbeugte er sich vor ihr und schritt würdevoll auf Darcy zu. Elisabeth beobachtete gespannt, was erfolgen würde. Darcys Erstaunen, als er sich plötzlich von einem wildfremden jungen Mann angeredet fand, war genau das, was sie erwartet hatte. Ihr Vetter sandte seiner Ansprache eine feierliche Verbeugung als Vorwort voraus, und obwohl sie keine Silbe vernehmen konnte, wußte sie genau, was gesprochen wurde; bisweilen glaubte sie, von den Lippen des Sprechers das eine oder andere Wort lesen zu können, wie ›Entschuldigung‹, ›Behausung‹ und ›Lady Catherine‹. Aber es ärgerte sie doch, daß ihr Vetter sich vor einem solchen Menschen derart bloßstellte. Darcy hörte ihn mit wachsendem und unverhohlenem Staunen an, und als Mr. Collins ihm schließlich Gelegenheit gab, etwas zu erwidern, tat er es mit einer Miene kühlster Höflichkeit. Mr. Collins ließ sich dadurch nicht entmutigen, und im Laufe seiner zweiten Rede verwandelte sich Darcys anfängliches Staunen in abweisende Verachtung; er nahm sich nicht einmal mehr die Mühe zu antworten, sondern wandte sich mit einem unhöflichen Kopfnicken ab und Mr. Collins kam zu Elisabeth zurück.
»Mein Empfang hat mich auf das höchste befriedigt«, sagte er. »Mr. Darcy schien die kleine Aufmerksamkeit sehr zu schätzen. Er antwortete mit größter Zuvorkommenheit und machte mir sogar das Kompliment, daß er Lady Catherines Art zu gut kenne, um nicht zu wissen, daß sie ihre Freundschaft immer dem Richtigen zuwende. Ich muß sagen, ich finde das sehr freundlich gedacht. Ich bin sehr von ihm angetan.«
Nun, da Elisabeths Aufmerksamkeit nicht mehr anderweitig abgelenkt wurde, konnte sie um so mehr auf ihre Schwester und Mr. Bingley achten; und was sie sah, stimmte sie fast ebenso fröhlich wie Jane. Sie schaute sie im Geiste schon als Frau in diesem Hause und so glücklich, wie eben nur eine wirkliche Liebesheirat einen Menschen zu machen vermag; unter solchen Umständen fühlte sie sich sogar bereit, Bingleys beide Schwestern gern zu haben. Sie sah auch die Gedanken ihrer Mutter dieselben Wege gehen, und sie nahm sich vor, ihr nicht zu nahe zu kommen, um nicht so viel davon hören zu müssen. Sie empfand daher den Zufall besonders tückisch, als Mrs. Bennet bei Tisch in ihrer unmittelbaren Nähe Platz nahm. Natürlich sprach ihre Mutter laut und angeregt zu ihrer Freundin Lady Lucas von nichts anderem als von ihrer Hoffnung, Jane in Bälde mit Bingley verheiratet zu sehen.
Das Thema sowohl wie Mrs. Bennets Redefluß schienen unerschöpflich zu sein, während sie die Vorzüge einer solchen Partie einen nach dem anderen aufzählte und besprach. Zunächst dürfe man sich dazu gratulieren, daß er ein so reizender junger Mann sei und dazu noch so reich und daß er nur knapp drei Meilen von Longbourn entfernt wohne; und dann — sei es nicht sehr beruhigend zu wissen, daß seine beiden Schwestern Jane so tief in ihr Herz geschlossen hätten und die Verbindung mit nicht geringerer Freude erwarteten als sie, Mrs. Bennet, selbst? Weiterhin verspreche doch eine so vorteilhafte Heirat viel für die Zukunft auch ihrer jüngeren Kinder, indem sie dadurch natürlich leichter Gelegenheit finden würden, gute Partien zu machen. Und schließlich und endlich, wie sehr freue sie sich nicht darauf, ihre ledigen Töchter nun der Ältesten anvertrauen zu können, so daß es ihr selbst erspart bliebe, in ihrem Alter noch so häufig Gesellschaften geben und besuchen zu müssen! Diesen Punkt mit einem Seufzer der Erleichterung als besonders erfreulich hervorzuheben, gehörte bei einem solchen Anlaß zum guten Ton; im übrigen gab es wohl keine Frau, ganz gleich welchen Alters, der die Aussicht, ruhig zu Hause bleiben zu dürfen, weniger Freude bereitet hätte als Mrs. Bennet. Sie schloß ihre
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