Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
vor, sich etwa einzubilden, daß sie seinetwegen unglücklich sei.
Während sie so noch mit ihren Gedanken beschäftigt war, hörte sie plötzlich die Türglocke läuten, und einen Augenblick dachte sie mit einer trotz aller guten Vorsätze freudigen Erwartung, es könne Fitzwilliam sein, der schon einmal so spät am Abend herübergekommen war und der jetzt vielleicht die Gelegenheit benutzen wolle, um sich ohne Zeugen von ihr zu verabschieden. Aber dieser Hoffnung durfte sie sich nicht lange hingeben, und ihre frohe Stimmung schlug in das Gegenteil um, als sie zu ihrem unaussprechlichen Erstaunen Darcy eintreten sah. Er begann sogleich sich auffallend hastig nach ihrem Befinden zu erkundigen; das klang so, als wollte er den Eindruck erwecken, daß sein Besuch nur den Zweck verfolge, von ihr persönlich zu hören, daß es ihr wieder besser gehe. Sie antwortete ihm höflich, aber kalt. Er setzte sich für ein paar Augenblicke, sprang dann wieder auf und ging im Zimmer auf und ab. Elisabeth wußte sich sein sonderbares Benehmen nicht zu deuten, sagte aber kein Wort. Nach einigen Minuten kam er mit seltsam erregter Miene auf sie zu und sagte: »Vergeblich habe ich mit mir gerungen; es geht nicht mehr so weiter. Meine Gefühle lassen sich nicht länger unterdrücken. Ich muß Ihnen jetzt sagen, wie sehr ich Sie bewundere, wie sehr ich Sie liebe.«
Elisabeth war viel zu überrascht, um auch nur ein Wort erwidern zu können; sie starrte ihn nur an, errötete und — schwieg. Das genügte, um ihn zu ermutigen, und was er für sie empfand und längst schon empfunden hatte, das brach jetzt in einem Strom von Beteuerungen und Schwüren ungehemmt über sie herein. Er sprach mit einem Ton aufrichtigster Wärme; aber da war noch ein anderes Gefühl, das nicht minder Ausdruck finden wollte, sein unmäßiger Standesdünkel. Die Tatsache ihrer Unebenbürtigkeit, sein Verlust an Ansehen, die Einwendungen und Einsprüche seiner Familie, alles, was seine Vernunft immer seiner Neigung entgegengehalten habe, nichts ließ er aus, so wenig geeignet gerade solche Hemmungslosigkeit auch war, um seinem Antrag Gehör zu verschaffen.
Trotz ihrer tiefen Abneigung gegen ihn empfand Elisabeth eine gewisse Befriedigung darüber, daß ein Mann von solchem Rang und Stand sich ihr erklärt hatte, und obgleich ihre Antwort vom ersten Augenblick an feststand, tat er ihr deshalb doch zunächst leid; aber als der Dünkel wieder bei ihm durchbrach, rief das wieder ihren ganzen Zorn gegen ihn wach, und das Mitleid verschwand so schnell, wie es gekommen war. Sie bemühte sich jedoch, sich so weit zu fassen, daß sie ihm in Ruhe antworten konnte, sobald er fertig war. Er schloß dann auch endlich mit einer erneuten Beteuerung der Tiefe und Stärke seiner Liebe, die ihn trotz seines langen Widerstrebens nun völlig überwältigt habe und deren Lohn er jetzt mit ihrer Hand zu erhalten hoffe. Er sagte dies in einer Weise, als zweifle er keine Sekunde daran, daß ihre Antwort seine Hoffnung erfüllen werde. Er sprach wohl von Befürchtungen und Besorgnissen, aber seine Miene verriet nur völlig überzeugtes Selbstbewußtsein. Das brachte sie nur noch mehr auf, und als er geendet hatte, sagte sie mit blitzenden Augen: »In einem Fall wie diesem ist es, glaube ich, üblich, für die bezeugte Zuneigung zu danken, mag das Gefühl auch nicht im geringsten erwidert werden. Und wenn ich es fertig brächte, auch nur eine Spur von Dankbarkeit zu empfinden, dann würde ich es Ihnen jetzt sagen. Aber ich kann es nicht —, ich habe nie auf Ihre gute Meinung von mir Wert gelegt, und Sie haben sie auch nur höchst ungern zugestanden. Es betrübt mich immer, wenn ich irgend jemandem weh tun muß, aber es lag dieses Mal ganz bestimmt nicht in meiner Absicht, und ich denke, Ihr Schmerz wird nur von kurzer Dauer sein. Die Gefühle, die, wie Sie sagen, so lange das Geständnis Ihrer Neigung verhindert haben, werden Ihnen auch dabei behilflich sein.«
Mr. Darcy, der gegen den Kaminsims gelehnt dastand und sie unentwegt ansah, schien ihre Worte ebenso verwundert wie ärgerlich zu vernehmen. Er wurde merklich blasser, und seine ganze Haltung drückte stärkste Erregung aus. Er kämpfte sichtlich mit sich selber, um seine Ruhe zu bewahren, und öffnete seinen Mund nicht eher zum Sprechen, bevor er sich nicht wieder ganz in der Gewalt hatte. Das lange Schweigen wurde Elisabeth zur Qual. Schließlich sagte er mit erzwungener Ruhe: »Das ist also die ganze Antwort, mit der Sie mich
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