Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
Tür durfte jetzt zugemacht werden, und die Fahrt begann.
»Lieber Himmel!« rief Maria nach einer Weile aus, »mir ist es so, als seien wir erst gestern hier angekommen! Und was ist doch alles in diesen Wochen geschehen!«
»Sehr viel, allerdings«, erwiderte Elisabeth mit einem Seufzer. »Neunmal waren wir zum Essen auf Rosings, und zweimal zum Tee! Was werde ich alles erzählen müssen!«
»Und was werde ich alles nicht erzählen dürfen!« fügte Elisabeth für sich hinzu.
Die Reise verging ohne weitere Unterhaltung und ohne Zwischenfall; vier Stunden nach ihrer Abfahrt befanden sie sich in London in Mr. Gardiners Haus, wo sie ein paar Tage bleiben wollten.
Jane sah gut aus, und die verschiedenen Gesellschaften und Veranstaltungen, mit denen ihre freundliche Tante den Aufenthalt ihrer Nichten verschönte, ließen es nicht zu, daß Elisabeth die Stimmung ihrer Schwester näher ergründen konnte. Aber Jane würde sie ja nach Hause begleiten, und auf Longbourn würde sie Muße genug haben, um ihre Beobachtungen zu machen.
39. KAPITEL
I n der zweiten Maiwoche brachen die drei jungen Mädchen nach dem Städtchen auf, in dem sie die Postkutsche mit Mr. Bennets Wagen vertauschen wollten, der ihnen dorthin entgegengeschickt werden sollte. Als sie sich dem verabredeten Treffpunkt, einem kleinen Gasthaus, näherten, entdeckten sie schon von weitem Kitty und Lydia, die ihnen von einem der oberen Fenster lebhaft zuwinkten. Die beiden waren schon eine Stunde früher angekommen und hatten sich die Zeit nutzbringend damit vertrieben, den nahen Putzladen zu besuchen, die stattliche Wache vor der Kaserne in Augenschein zu nehmen und einen Gurkensalat anzurichten.
Nach der stürmischen Begrüßung führten sie die drei Ankömmlinge im Triumph vor einen Tisch, der mit all den kalten Platten beladen war, wie sie jedes durchschnittliche Gasthaus in seiner Vorratskammer zu halten pflegt, und riefen ihnen mit offensichtlicher Selbstzufriedenheit zu: »Sieht das nicht gut aus? Was sagt ihr denn zu dieser Überraschung?«
»Und ihr seid alle von uns eingeladen«, fügte Lydia stolz hinzu. »Ihr müßt uns nur das Geld leihen; wir haben unseres nämlich soeben dort drüben in dem Laden ausgegeben.«
Und damit zeigte sie ihren Kauf vor.
»Seht ihr, diesen Hut habe ich mir erstanden. Er ist zwar gar nicht besonders kleidsam, aber ich fand, ich könnte ihn ebensogut kaufen, wie es auch sein lassen. Zu Hause werde ich ihn natürlich ganz und gar auseinandertrennen und zusehen, daß ich etwas Anständiges daraus mache.«
Als ihre Schwestern ihr Entsetzen über das scheußliche Ding ausdrückten, meinte sie ganz gleichgültig: »Ach, es gab noch viel häßlichere in dem Laden! Wenn ich erst ein wenig schöne Seide gekauft habe, um ihn neu zu garnieren, dann wird er schon ganz erträglich aussehen. Im übrigen spielt es in diesem Sommer leider keine große Rolle, wie und was wir uns anziehen; unser Regiment wird Meryton nämlich in vierzehn Tagen verlassen!«
»Nein, wirklich?« rief Elisabeth aus, über diese Nachricht höchlichst erfreut.
»Ja, es ist nach Brighton versetzt worden. Ich wünschte, Vater würde im Sommer mit uns nach Brighton fahren! Das wäre herrlich, und so sehr viel kosten kann es doch nicht! Auch Mutter würde brennend gern dorthin gehen. Denk’ dir nur einmal, wie schrecklich langweilig der Sommer sonst werden wird!«
»Sehr schön«, dachte Elisabeth. »Das wäre gerade so das Richtige für uns. Du lieber Himmel! Wir in Brighton mit seinem ganzen Truppenlager, nachdem uns schon ein einziges Infanterieregiment und die paar Bälle in Meryton ganz aus dem Häuschen gebracht haben!«
»Ich habe noch eine Neuigkeit für euch«, sagte Lydia, als sie beim Essen waren. »Was meint ihr wohl? Eine gute Neuigkeit, eine hervorragende Neuigkeit — ihr kennt alle die Person, um die es sich handelt.«
Jane und Elisabeth wechselten einen Blick und bedeuteten dann dem Kellner, daß er nicht zu warten brauche.
Lydia lachte: »Diskretion und Anstand — echt Jane und Elisabeth! Als ob der sich um unser Gespräch kümmern würde! Er bekommt bestimmt häufig noch ganz andere Sachen zu hören, als ich euch zu erzählen habe. Aber es ist doch gut, daß er weg ist; er ist so furchtbar häßlich! Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie ein so langes Kinn gesehen! Also jetzt kommt meine Neuigkeit, es handelt sich um unseren lieben Wickham! Das wäre nichts für den Kellner gewesen, nicht wahr? Also Wickham wird Miss King doch
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