Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
Abreise der beiden Gäste.
»Ich versichere Ihnen«, sagte Lady Catherine, »ich bin aufs tiefste betrübt. Es kann ja niemand den Schmerz eines Abschieds so sehr empfinden wie ich. Und gerade diesen beiden jungen Menschen bin ich besonders zugetan und weiß, wie sehr sie mich lieben! Sie waren beide außerordentlich traurig, daß sie abreisen mußten. Der liebe Fitzwilliam beherrschte sich ja noch einigermaßen, aber Darcy schien es sehr nahe zu gehen, mehr noch als vergangenes Jahr. Er hängt von Jahr zu Jahr mehr an Rosings.«
Mr. Collins hatte ein Kompliment und eine höfliche Anspielung bei der Hand, die er geschickt einwarf, wofür er ein freundliches Lächeln von Mutter und Tochter ernten durfte.
Lady Catherine bemerkte nach dem Essen, daß Miss Bennet nicht so gut aufgelegt erscheine wie sonst, und gab auch gleich selbst als vermutliche Ursache an, sie bedauere wohl, ebenfalls so bald Abschied nehmen zu müssen.
»Wenn ich recht habe, müssen Sie an Ihre Mutter schreiben und um die Erlaubnis bitten, noch ein wenig bleiben zu dürfen«, riet sie Elisabeth. »Mrs. Collins wird sich bestimmt sehr freuen, Sie noch eine Zeitlang behalten zu können.«
»Ich danke Ihnen herzlich für diese freundliche Aufforderung«, erwiderte Elisabeth, »aber leider kann ich ihr nicht nachkommen, da ich am nächsten Sonnabend unbedingt in London sein muß.«
»Ach, dann sind Sie ja kaum sechs Wochen hier gewesen; ich dachte, Sie wollten wenigstens zwei Monate bleiben. — Nicht wahr, Mrs. Collins, das sagte ich doch schon vor Miss Bennets Ankunft zu Ihnen? — Was wollen Sie denn so bald wieder zu Hause? Mrs. Bennet kann Sie bestimmt noch vierzehn Tage entbehren.«
»Ja, aber Vater nicht. Er schrieb schon letzte Woche und bat mich, möglichst bald heimzukommen.«
»Oh, wenn Ihre Mutter Sie entbehren kann, dann wird Ihr Vater es auch können. Töchter spielen bei Vätern nie eine so große Rolle. Und wenn Sie gar noch einen ganzen Monat bleiben wollten, dann könnte ich eine von Ihnen beiden bis nach London mitnehmen, wo ich Anfang Juni für eine Woche hin will. Wenn das Wetter nicht zu warm ist, könnte ich sogar beide mitnehmen; Sie sind ja beide schlank.«
»Sie sind zu gütig, gnädige Frau. Aber ich glaube, wir müssen bei unserem ersten Entschluß bleiben.«
Lady Catherine schien sich geschlagen zu geben.
»Mrs. Collins, Sie müssen unbedingt einen Diener zur Begleitung mitschicken. Sie wissen, ich sage immer, was ich denke, und ich kann mich nicht an den Gedanken gewöhnen, daß zwei junge Mädchen allein in der Postkutsche fahren sollen. Es ist höchst unpassend. Sie müssen jemanden finden, der sie begleitet. Ich verabscheue nichts in der Welt so sehr wie solche Ungehörigkeit. Junge Mädchen sollten immer ordentlich behütet sein, wie es ihrer gesellschaftlichen Position entspricht. Als meine Nichte Georgiana voriges Jahr verreist war, achtete ich genauestens darauf, daß sie ständig von zwei Dienern begleitet wurde. Miss Darcy, Tochter von Mr. Darcy auf Pemberley, und Lady Anne hätten nicht anders auftreten können, ohne Sitte und Anstand zu verletzen. Solche Dinge liegen mir immer sehr am Herzen. Sie müssen unbedingt John den beiden Mädchen zur Begleitung mitgeben, Mrs. Collins. Ich freue mich wirklich sehr, daß ich noch rechtzeitig daran dachte; denn es würde auch auf Sie ein schlechtes Licht geworfen haben, wenn Sie die beiden allein hätten fahren lassen.«
»Mein Onkel wollte einen Diener schicken, um uns abzuholen.«
»Ah so! Ihr Onkel! Er hält sich einen Diener? Das freut mich sehr, daß jemand in Ihrer Familie an so etwas denkt. Wo werden Sie die Pferde wechseln? Ach, natürlich in Bromley. Wenn Sie dem Gastwirt dort meinen Namen nennen, wird er sich Ihrer besonders annehmen.«
Lady Catherine hatte noch manche Frage wegen der Reise zu stellen, und da sie doch nicht alle selbst beantwortete, durfte man seine Aufmerksamkeit nicht einschlafen lassen. Zum Glück, dachte Elisabeth; sonst hätte sie, so voller Gedanken, wie sie war, bestimmt vergessen, wo sie sich befand.
Aber die Gedanken mußten warten, bis sie eine ruhige Stunde für sie fand. Wann immer in der nächsten Zeit sie sich allein sah, überließ sie sich ihnen wie einer Erholung. Mr. Darcys Brief kannte sie nun schon beinahe auswendig, und ihre Gefühle dem Schreiber gegenüber wechselten ständig. Wenn sie an den Ton des Briefes dachte, empörte sie sich immer wieder von neuem; aber wenn sie daran dachte, wie ungerecht sie mit
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