Stone Girl
beobachtet, wie sie sich wand, während sie auf »einen speziellen Punkt« in dem Artikel anspielte. Der spezielle Punkt, den zu benennen sie sich nicht überwinden konnte, war die Geschichte von einer Party, die die Mädchen dem Reporter erzählt hatten. Um eingelassen zu werden, hätten alle Mädchen angeboten, den anwesenden Jungs einen zu blasen, als »Eintrittspreis« gewissermaßen.
Jeder in der White weiß, dass das nicht stimmt, ja sämtliche Privatschüler wissen, dass das nie passiert ist. Es war nur eine Story, ein Witz. Die anonyme Quelle hat bestimmt nicht gedacht, dass der Reporter das überhaupt glauben würde. Sethie kann sich nicht vorstellen, dass irgendjemand, den sie kennt, so was glauben würde.
Ein Mädchen aus Sethies Klasse behauptet, das Mädchen, das die Geschichte erzählt hat, zu kennen. Eigentlich sagt sie, es seien drei Mädchen gewesen, die alle in die Schule ums Eck gehen, in die Schule also, die, das weiß jeder, akademisch bei Weitem nicht so anspruchsvoll ist wie die White. Sie dachten, es sei cool, in einem Magazin zu erscheinen, doch dann haben sie die Nerven verloren und darum gebeten, anonym zitiert zu werden. Sethie fragt sich, ob es überhaupt legal ist, Mädchen unter achtzehn zu zitieren und ihre Namen ohne die Erlaubnis ihrer Eltern abzudrucken.
Sethie saß auf dem Boden des Konferenzsaals, obwohl es den Seniors erlaubt war, hinten auf den Stühlen zu sitzen, die sonst für die Lehrer reserviert waren. Die Schulleiterin sprach über die Gefahren eines Gesprächs mit Reportern und darüber, wie wichtig es war, das hundertjährige Renommee der White School zu schützen. Als sie sich erkundigte, ob irgendjemand noch Fragen habe, war Sethie versucht nachzuhaken, weshalb die Schulleiterin (die die Geschichte ganz offensichtlich glaubte) sich mehr Sorgen darum machte, dass die Mädchen mit Reportern sprachen, als darum, dass sie jemandem auf einer Party einen bliesen, um eingelassen zu werden. Sethie lehnte sich gegen die Wand in der Nähe der Tür. Wenn sie dazu noch die Beine überkreuzte, konnte sie drei Knochenpaare spüren: die Knochen unter ihrem Hintern, ihre Fußknöchel und ihre Schulterblätter.
Sethie stellt sich Fettsein wie ein ständig vorhandenes, riesiges Kissen vor. Für die Übergewichtigen, denkt Sethie, kann es keine harten Oberflächen geben.
Jetzt starrt Sethie auf ihren Hintern im Spiegel, auf die Nähte in den Jeanstaschen. Die Hose erinnert sie daran, wie sie sich vor Jahren, mit dreizehn, vierzehn, angezogen hat, als ihre Mutter ihr noch beim Kleideraussuchen half, genau wie damals, als sie noch ein kleines Mädchen war, auch wenn ihr aufsässiger Körper aufgehört hat, wie ein kleines Mädchen auszusehen. Sethie bekam erst spät Brüste, doch jetzt bleiben sie ihr, egal wie viel sie abnimmt, sie muss immer einen BH tragen. Damals kam ihre Mutter noch mit in die Umkleidekabinen, doch jetzt lässt Sethie sie nie mehr mit hinein. Rebecca hat ihr gesagt, wie Kleider auszusehen haben. Rebecca – die kleine, schmale Rebecca – meinte, Kleider müssten eng sein. Also trug ihre Tochter sie eng. Jetzt kann Sethie kaum glauben, dass sie damals tatsächlich so herumgelaufen ist. Sie erinnert sich noch an ihre knappen Shorts und wie die Männer anfingen, sie anzustarren. Zuerst fand sie das noch gut, es gab ihr das Gefühl, hübsch zu sein, ja sogar stylish, als wären es die Kleider, die ihnen auffielen, und nicht ihr Körper darunter. Und sie hatte das Gefühl, erwachsen zu sein, alt genug jedenfalls, dass Männer sie bemerkten.
Einmal, als sie noch in der neunten Klasse war, hatte sie sich mit einer Mitschülerin am Metropolitan Museum verabredet und war zu früh gekommen. Sie hatte einen grünen Minirock im Military-Style und ein weißes Tanktop getragen. Ihrer Mutter hatte das Outfit so gefallen, dass sie es in der Umkleide beide anprobiert hatten. Rebecca hatte darauf bestanden, es sich mit Sethie zu teilen, da sie es sich nur einmal leisten konnten. Sethie war bereits fünf Zentimeter größer als ihre Mutter, daher war der Rock an Rebecca nicht annähernd so kurz wie an Sethie. Eine Tatsache, die Rebecca nicht zu bemerken schien, und wenn doch, dann schien sie es nicht für schlimm zu halten.
Sethie saß auf den Stufen des Met und wartete auf ihre Klassenkameradin. Das Schuljahr neigte sich dem Ende zu und ihre Lehrerin für alte Geschichte hatte sie alle für ihr Abschlussprojekt zu einem Ausflug in den griechischen Flügel des Met abkommandiert.
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