Stone Girl
diese Geste, denn sie zeigt den anderen, dass Shaw zu ihr gehört. Dass, obwohl Janey seine Kleider zurechtgezupft hat, sie es eigentlich nur für Sethie getan hat.
Jetzt kommt Janey zu Sethie herüber. Sethie fragt sich, ob sie wohl auch gleich zurechtgemacht wird.
»Du siehst fantastisch aus«, verkündet Janey. Sethie errötet. »Die Jeans sind perfekt«, sagt Janey, und auch dafür ist Sethie ihr dankbar. Jetzt ist ihr richtig warm, und sie ist sich des Jeansstoffs auf ihrer Haut, der ihre Beine buchstäblich einschließt, nur allzu bewusst. Sie ist daran gewöhnt, Luft zwischen ihrem Körper und dem Stoff ihrer Kleider zu spüren, jeder Lufthauch die Bestätigung: Sie ist dünn. Diese Jeans lassen definitiv keinen Lufthauch zu. Janey sagt, Kleider sollten eng sein, nicht weit. Vielleicht denkt sie, Sethie war mal dicker und deswegen sind ihr alle Kleider zu groß. Sie weiß vielleicht nicht, dass Sethie sie extra so kauft, weil sie das Gefühl weiter Klamotten mag. Und ganz bestimmt weiß Janey nicht, wie es ist, wenn man zunimmt, wenn die Kleider anders eng werden, zu eng, und sich mit schmuddeligen, wütenden Händen in dein Fett krallen. Sethie muss weite Kleider kaufen, weil sie, wenn sie zunimmt – wie sie es ständig befürchtet –, Sicherheit braucht.
Inzwischen trinken alle den Alkohol von Janeys Eltern. Guter Jahrgang, denkt Sethie, obwohl sie sich nicht ganz sicher ist, was das heißt. Als sie die Wohnung verlassen, sind sie alle schon ein bisschen angesäuselt. Der Taxifahrer stöhnt, als er sieht, dass sie zu fünft sind. Vier ist die Obergrenze, darauf besteht er.
»Wir geben Ihnen ein ordentliches Trinkgeld«, verspricht Janey, und der Fahrer macht eine Geste, dass sie auf der Rückbank Platz nehmen sollen.
Sethie setzt sich auf Shaws Schoß, Janey sich nach vorne neben den Fahrer. Niemand will je vorne neben dem Fahrer sitzen müssen, und Sethie ist enttäuscht, dass sich keiner der Jungs freiwillig an Janeys Stelle angeboten hat. Sie quetschen sich alle in den Wagen. Auch Shaw wartet nicht, bis Sethie eingestiegen ist. Sethie fragt sich, ob Jungs, die woanders aufgezogen werden – irgendwo, wo man es nicht so eilig hat, wo man in der U-Bahn nicht um einen Platz kämpfen muss, um nicht stehen und sich an einer Stange festklammern zu müssen –, ob solche Jungs vielleicht bessere Manieren haben oder ob Ritterlichkeit wirklich überall ausgestorben ist. Auf der anderen Seite, denkt sie, wäre es schon eine sehr New-York-spezifische Ritterlichkeit, sich nach vorne neben den Taxifahrer zu setzen.
Shaws Hände ruhen auf ihrer Taille. Er gleitet mit zwei Fingern unter ihren Hosenbund. Sie sind so kalt, dass Sethie scharf einatmet. Sogleich ist sie dankbar für den Reflex, denn so hat sie wenigstens den Bauch eingezogen.
Das Haus der Studentenverbindung sieht anders aus als man es aus Filmen kennt. Es ist ein hoch aufragendes, schlankes Gebäude, genau wie die in den Seitenstraßen auf der Upper East Side – nicht so hübsch wie die Häuser, die sich näher an der Fifth befinden, aber auch nicht so runtergekommen oder ramponiert wie einige derer, die man weiter östlich in der Nähe der Second Avenue begutachten kann. Die Jungs gehen zuerst hinein. Janey und Sethie folgen ihnen Händchen haltend. Janeys Fingerspitzen sind trotz ihrer Handschuhe sichtbar.
»Hab die Enden abgeschnitten«, erklärt sie, als sie Sethies Blick bemerkt. »So kann ich rauchen, ohne sie auszuziehen.«
»Sehr cool«, erwidert Sethie und Janey grinst.
Im Inneren ist es ziemlich überfüllt. Fast sofort bilden sich Schweißperlen auf Sethies Oberlippe. Es gibt keinen Platz, wo sie ihre Mäntel ablegen könnten. Alle anderen wohnen anscheinend so nah, dass sie sich nicht die Mühe gemacht haben, für den kurzen Weg einen Mantel überzuziehen. Sethie löst den Knoten ihres Schals und knöpft ihre Jacke auf, doch sie kann sich nicht vorstellen, ihre Sachen hier einfach irgendwo liegen zu lassen. Die Böden fühlen sich klebrig an und die Sofas wirken schmuddelig. Vielleicht kann sie die Sachen einfach anbehalten. Vielleicht werden sie gar nicht so lange bleiben oder sie wird sich an die Hitze gewöhnen. Sie könnte ihre Clutch in ihre Manteltasche stecken. Sie merkt, dass keines der Mädchen hier eine Tasche bei sich hat.
»Komm«, sagt Janey und zieht Sethie zur Treppe. Die Jungs sind schon an ihnen vorbeigelaufen, hinein ins Partygeschehen und vermutlich näher an den Alkohol heran.
»Moment mal. Dürfen wir da
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