Stop Me - Blutige Botschaft (German Edition)
Kalifornien konnte man für diesen Preis nicht einmal eine Hundehütte mieten.
“Wow”, murmelte Jasmine und fuhr langsamer, um die Höchstgeschwindigkeit nicht zu überschreiten. Mamou war ganz anders als Cleveland, wo sie aufgewachsen war, und trotzdem gab es eine gewisse nostalgische Ähnlichkeit zwischen den Holzrahmenhäusern und ihrer Geburtsstadt. Die schlichte Architektur des frühen zwanzigsten Jahrhunderts rief Kindheitserinnerungen an die Wochenenden wach, die Jasmine im Haus ihrer Großeltern verbracht hatte. Dieser Blick auf die Wurzeln Amerikas fehlte in dem Staat, den sie als Heimat adoptiert hatte, in auffallender Weise: In Kalifornien wirkten die meisten Städte wohlhabend, funkelnd und neu.
Sie wurde noch langsamer und hielt an der ersten Tankstelle an, an der sie vorbeikam.
Noch ehe sie den Sicherheitsgurt geöffnet hatte, kam ein Mann etwa in ihrem Alter aus der Garage. Sie drehte das Fenster herunter und fragte nach Romain Fornier, aber durch die Art und Weise, wie der Mann den Kopf einzog und beim Sprechen nuschelte, wirkte er etwas sonderlich. Das Erlebnis erinnerte sie an eine weitere Statistik, die sie gestern gelesen hatte: Bei der letzten Volkszählung lebten in Mamou hundertzweiundfünfzig Menschen in psychiatrischen Anstalten, eine deutlich höhere Anzahl als im Landesdurchschnitt.
War der Mann womöglich erst vor Kurzem entlassen worden? “Entschuldigen Sie bitte?”, sagte sie, in der Hoffnung, dass er genauer erklärte, was er meinte.
Er ging zur Zapfsäule, ohne noch einmal den Mund aufzumachen. Offensichtlich hatte er vor, ihr zu helfen, und wartete auf Anweisungen.
Jasmine hatte nicht damit gerechnet, hier bedient zu werden. In den meisten Teilen des Landes war der Service an den Tankstellen schon vor zwei Dekaden Sparmaßnahmen zum Opfer gefallen.
Sie stieg aus, sagte ihm, er solle mit Normalbenzin volltanken und schlenderte dann durch den kleinen Laden neben der Garage. Sie entschied sich für eine Flasche Saft und einen Donut und ging damit zur Kasse. Sie wollte mit jemandem über Romain Fornier reden, aber sie spürte, dass der Mann nicht die beste Wahl dafür war. Stattdessen hatte sie bereits die etwa fünfzigjährige Frau hinterm Tresen ins Visier genommen.
“Hallo.” Jasmine lächelte, als sie ihre Einkäufe ablegte.
Die Angestellte trug Jeans, Rollkragenpullover und eine Jacke, die ein paar Nummern zu groß war. Im Inneren des Ladens war es nicht sehr viel wärmer als draußen, und dort zeigte das Thermometer gerade mal fünf Grad Celsius. Die Frau blickte kaum auf. “Hi.”
“Das ist wirklich ein nettes Städtchen.”
“Das macht dann einen Dollar fünfundachtzig. Plus das Benzin.”
Jasmin reichte ihr eine Fünfzig-Dollar-Note. “Wie lange leben Sie schon hier in der Gegend?”
“Den größten Teil meines Lebens”, erwiderte die Frau, doch mit der Aufmerksamkeit war sie ganz bei der Kasse und dem Wechselgeld.
“Es ist nett, dass jemand für mich tankt.”
Die Frau ließ den Blick aus dem Fenster wandern. Der Mann, dem Jasmine zuerst begegnet war, sah gerade nach dem Öl. “Lonnie tut, was er kann.”
Jasmine war sich nicht sicher, aber sie meinte, eine gewisse Ähnlichkeit zwischen der Frau und dem Mann dort draußen zu erkennen. “Sind sie beide verwandt?”
“Ich bin seine Mama – alles, was er im Leben hat und wahrscheinlich alles, was er jemals haben wird.”
Sie klang müde und überfordert, und zum ersten Mal nahm Jasmine den Staub wahr, der auf den Waren in den Auslagen lag. “Gehört Ihnen der Laden?”
“Seit sein Daddy letztes Jahr gestorben ist. Jetzt gibt’s nur noch uns zwei.”
Plötzlich fühlte Jasmine sich schuldig, weil ihre eigenen Probleme sie so gefangen genommen hatten. In den letzten Tagen war sie wohl ziemlich zielstrebig gewesen. “Tut mir leid. Es muss ein schwerer Verlust für Sie sein.”
Die Frau schenkte ihr ein müdes Lächeln. “Das stimmt. Die Hälfte der Zeit, als er noch am Leben war, wollte ich ihn am liebsten rausschmeißen. Er war ständig unterwegs, zum Angeln, und hat mich mit der Tankstelle und dem Laden allein gelassen. Aber immerhin war er überhaupt da. Zumindest ist er immer zu mir nach Hause gekommen.” Sie schätzte die Fortschritte ihres Sohnes ab, der mit dem Öl fertig war und jetzt Jasmines Windschutzscheibe putzte. “Und Lonnie ging’s auch besser, als sein Daddy noch lebte.”
Jasmine dachte an ihren eigenen Vater. Sie war so damit beschäftigt, sich vor dem Schmerz zu
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