Stop Me - Blutige Botschaft (German Edition)
zurückfahren und erst morgen früh wieder herkommen sollen?
Jetzt, wo es dunkel war, hatte sie keine Ahnung, wie sie Fornier “irgendwo da draußen” in den Sümpfen finden sollte. Und sie war sich nicht sicher, ob sie in dem Hotel mit dem Blechdach bleiben wollte. Mit dem Haus schien zwar alles in Ordnung zu sein, aber es sah doch ziemlich verlassen aus.
Jasmine warf einen Blick auf die Uhr. Halb acht. Bis New Orleans war es nur zwei Stunden in Richtung Nordosten. Sie könnte heute Abend noch zurückfahren und trotzdem noch zu einer zumutbaren Zeit ankommen. Aber sie war hungrig und erschöpft und wollte keinen weiteren Tag mit der Suche vergeuden. Besonders, falls sich herausstellte, dass Fornier ihr nicht helfen konnte oder wollte.
Nachdem sie den Wagen auf dem mit Muschelsplittern übersäten Parkplatz abgestellt hatte, betrat sie das Hotel. Dort begrüßte sie ein Mann, der ebenso verwittert aussah wie die Docks, an denen sie gerade vorbeigekommen war.
“Woll’n Sie ‘n Zimmer?” Die Knöpfe seines Flanellhemdes wurden bei dem Versuch, seine behaarte Brust zu verbergen, arg strapaziert. An der linken Hand fehlten ihm zwei Finger, aber er schenkte ihr ein herzliches Lächeln. In der oberen Zahnreihe klaffte eine Lücke.
“Ja. Aber vor allem hoffe ich, dass Sie mir helfen können, jemanden zu finden.”
“Und wen?”
“T-Bone.” Sie nahm an, dass es in einem Ort mit vier Duzend Einwohnern nicht mehr als einen T-Bone geben würde, selbst in Cajun Country. Sie erwähnte den Nachnamen nicht, in der Hoffnung, der Mann würde denken, sie kenne Fornier.
“T-Bone is’ unten am Bayou, in der Nähe von Port Fourchon.”
Unten? Noch weiter südlich? Wenn sie noch weiter Richtung Süden fuhr, würde sie im Golf von Mexiko landen. “Können Sie mir sagen, wie ich zu ihm komme?”
Er musterte sie einen Moment lang. “Erwartet er Sie?”
Sie erwog, ihm die Wahrheit zu sagen, verwarf die Idee jedoch. Sie konnte nicht riskieren, dass er abblockte. Sie brauchte die Hilfe dieses Mannes, und sie war bereit, die Wahrheit ein wenig zu verbiegen, um sie zu bekommen. Jeder Privatdetektiv würde so vorgehen, trotzdem empfand sie Gewissensbisse.
“Eigentlich wollte ich ihn überraschen.” Sie brachte ein kokettes Lächeln zustande. “Ein Freund aus Mamou hat mich geschickt. Kennen Sie … Poppo?”, improvisierte sie rasch.
“Nee.”
“Nun, er glaubt, dass wir wie füreinander geschaffen seien”, plapperte sie drauflos. “Seit mein Mann mich sitzen gelassen hat, hoffe ich, dass ich jemand Neues kennenlerne, und Poppo sagt, dass T-Bone eine Frau braucht, auch wenn er das niemals zugeben würde.”
Der alte Mann hob die Augenbrauen, aber er hakte die Daumen hinter den Latz seines Overalls und grinste. Zweifellos sah er in ihr eine harmlose junge Dame, und das ließ ihn unachtsam werden. “Himmel, bin ich froh, Sie zu seh’n! Der arme Kerl braucht auf jeden Fall jemanden. Er kommt nur alle paar Wochen ma’ ins Dorf. Ich glaub nich’, dass er zwischendurch ma’ Besuch kriegt oder Gesellschaft hat.”
“Aber jetzt haben wir Weihnachten.”
“Was für ‘ne nette Überraschung.”
“Also … können Sie mir sagen, wie ich zu ihm komme?”
“Ich wüsst nich’, warum nich’. Fahren Sie sechs, sieben Meilen die Straße lang …”, mit gekrümmten Fingern deutete er auf die Tür hinter ihr, “… und biegen dann rechts in die Rappelet Road ab. Nach ungefähr einer Meile stoßen Sie auf eine Straße, die zur Bay Champagne führt. Da wohnt er im Sumpf.”
Sumpf. Igitt. “Muss ich mich links oder rechts halten?” Sie brauchte eine möglichst genaue Beschreibung. Auf gar keinen Fall wollte sie sich an einem Ort verirren, der sie so sehr ängstigte wie der Sumpf.
Er kramte ein Stück Papier unter dem Tresen hervor und zeichnete ihr eine grobe Skizze. “Hiermit finden Sie den Weg bestimmt.”
Sie konnte die Schrift kaum entziffern. “Ich kann mich doch nicht verfahren, oder?”, fragte sie besorgt. Das genügte. Mit einer schnellen Bewegung, die sie einem Mann seines Alters gar nicht zugetraut hätte, griff er erneut unter den Tresen hervor. Dieses Mal förderte er ein Schild zutage, auf dem stand: Bin beim Fischen. Bin bald wieder zurück .
Innerhalb von zehn Minuten hatte der grauhaarige Fischer Jasmine zu einer großen Hütte gelotst. Sie stand auf trockenem, mit Sumpfgras durchsetztem Boden, versteckt in einem Dickicht aus Zypressen und Pekannussbäumen. Spanisches Moos hing von den Ästen
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