Stop saying Goodbye: Roman (German Edition)
um meine Augen – und strapazierten Nerven – an die Umgebung zu gewöhnen, dämmerte mir allmählich, was für eine erstaunliche Entdeckung Dave gemacht hatte. Sich hierher zurückzuziehen hatte tatsächlich was. Ich saß auf der untersten Treppenstufe, die Taschenlampe in meinem Schoß, und mich beschlich ein ähnliches Gefühl wie beim ersten Mal, als er mich mitten in der Nacht mit sich in den Keller gezogen hatte. Als hätte ich mich buchstäblich
unter
die Welt verkrochen, als wäre ich in Sicherheit, zumindest für eine Weile.
Was für ein ätzendes Chaos
, dachte ich, blickte dabei nach oben in den allmählich dämmernden Himmel. Und alles nur, weil ich das eine getan hatte, zu dem ich die ganze Zeit über nicht fähig gewesen war: die Wahrheit auszusprechen. Wenn meine Mutter mich so sehr liebte, dass sie mit allen Mitteln um mich zu kämpfen bereit war, sogar gegen meinen erklärten Willen – warum konnte sie dann ums Verrecken nicht akzeptieren, dass ich wütend auf sie war?
Über mir hörte ich ein Surren, ein Motor wurde angelassen, lief für kurze Zeit, wurde wieder abgestellt. Ich stützte mich mit den Händen auf der Stufe ab, stand auf, ging die Treppe hoch, um nachzuschauen, was da oben los war. Ichwollte gerade meinen Kopf ins Freie stecken, da steckte Dave seinen herein.
»Shit!« Unwillkürlich wanderte seine Hand zu seiner Brust, er sprang förmlich zurück. »Jesus Christus, hast du mich erschreckt!«
Ich war genauso zusammengezuckt. Einen Augenblick lang starrten wir einander stumm an und versuchten gemeinsam, wieder zu Atem zu kommen. »Jesus Christus?«, meinte ich schließlich ungläubig.
»Du hast mich eben zu sehr erschreckt«, meinte er trocken.
»Sorry, wollte ich nicht. Ich musste mich bloß mal eine Zeit lang verkrümeln.« Ich trat zu ihm auf das Gras vor der Falltür, das hier noch mit Schnee bedeckt war, und deutete auf die Treppe. »Jetzt gehört dein unterirdisches Reich wieder dir.«
Er zeigte auf die Taschenlampe in meiner Hand. »Eigentlich bin ich nur wegen der gekommen. Wir wollen unsere Beziehung vertiefen und brauchen ein bisschen Er… nein,
Be
leuchtung.«
»Bitte was?«
Doch ehe Dave antworten konnte, hörte ich aus der Garage der Wades hinter ihm ein metallisch schabendes Geräusch. Daves Volvo stand davor, und als ich an der Karre vorbei hinüberspähte, sah ich Mr Wade, der ein paar Bücherregale hin- und herschob.
»Garagenentrümpelung«, erklärte Dave; sein Vater hob einen Karton hoch, der ihm offenbar im Weg stand. »Gemeinsame Vater-Sohn-Aktion
und
notwendige Aufräumarbeit in einem.«
»Klingt verheißungsvoll. Als würde es richtig Spaß machen.«
»Tut es, und wie! Du hast ja keine Ahnung.«
»Dave?« Mr Wade blickte zu uns herüber. »Wie war das mit der Taschenlampe?«
»Hab sie. Komme gleich«, rief er zurück. Sein Vater nickte, winkte mir zu, ich winkte zurück. Mr Wade trug den Karton aus der Garage, stellte ihn unter dem Basketballkorb ab, ging wieder zurück. Dave sagte: »Weißt du, was für meinen Vater der Himmel auf Erden ist? Ein Riesenchaos plus ein unerschöpflicher Vorrat an Plastikcontainern zur Aufbewahrung von allem, was man sich nur denken kann.«
Ich lächelte. Blickte dann zu dem alten Kasten vor uns. »Bist du eigentlich je drin gewesen? Abgesehen vom Keller, meine ich.«
»Ein paarmal. Als ich klein war«, entgegnete er mir. »Bevor sie die Fenster vernagelt haben.«
»Ist es ein normales Haus?«
»Im Prinzip ja, allerdings ein sehr großes. Es ist wirklich gigantisch. Warum?«
Ich zuckte die Achseln. »Einfach so. Es kommt einem irgendwie fehl am Platz vor, mit all den anderen, ordentlich hergerichteten Häusern drumherum.«
»Findest du?« Sein Blick wanderte ebenfalls zu dem maroden Gebäude. »So habe ich das nie gesehen. Liegt wahrscheinlich daran, dass es hier schon so lange steht, wie ich mich überhaupt erinnern kann. Bin wahrscheinlich zu sehr an den Anblick gewöhnt.«
Wir liefen über den matschigen Rasen zur Auffahrt zwischen unseren beiden Häusern. Mr Wade hatte mittlerweile noch mehr Kartons unter dem Basketballkorb aufgestapelt, dazu ein paar Plastikcontainer in unterschiedlichen Größen. »Siehst du?«, meinte Dave. »Willkommen im Paradies.«
Ich betrachtete die Kartons etwas genauer. Einige klafften auf, anderen waren zugeklebt. Und kaum einer war beschriftet. »Was ist da überhaupt drin?«, erkundigte ich mich.
»Alles. Lass deiner Fantasie einfach freien Lauf.« Er knipste die
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