Stop saying Goodbye: Roman (German Edition)
Wissenschaftler in Science-Fiction-Filmen dem Roboter immer einen geheimen Schalter verpassen, damit sie ihn für den Fall, dass er durchdreht und sich gegen sie wendet, deaktivieren können. Weil man eben nie wissen kann …
»Mom!« Unwillkürlich zog ich leicht den Kopf ein und bog vom Hauptgang in einen Nebenkorridor ab, wo ich hoffte, meinen Spind zu entdecken, irgendwie, irgendwo … »Ich habe dir doch gesagt, ich brauche noch ein bisschen Zeit.«
»Das ist zwei Wochen her!«, wandte sie ein. »Wie lange hast du vor, sauer auf mich zu sein?«
»Ich habe gar nichts
vor
. Ich möchte bloß …« Ich seufzte. War es so leid, ihr immer wieder erklären zu müssen, warum ich Abstand von ihr brauchte. Das Ganze glich einer ununterbrochenen, zähen Verhandlung: Sie setzte alles daran, mich wieder enger an sich zu binden, während ich mit aller Macht versuchte, sie auf Distanz zu halten. Obwohl Hunderte von Meilen zwischen uns lagen, hatte ich nach wie vor das Gefühl, unter ihrer Fuchtel zu stehen. »Ich brauche eine Pause.«
»Von mir«, stellte sie klar.
»Von allem. Ich bin gerade erst hergezogen, fange auf einer neuen Schule an –«
Sie schnitt mir das Wort ab: »Das war deine eigene, freiwillige Entscheidung.« Sie wurde nicht müde, mir das unter die Nase zu reiben. »Wenn es nach mir ginge, wärest du hier und würdest all die Vorteile, all die Höhepunkte, die ein letztes Schuljahr mit sich bringt, in vollen Zügen genießen. Mit deinen Uraltfreunden.«
»Ja«, antwortete ich. »Aber es geht nicht nach dir.«
Sie atmete betont geduldig durch, wie eine Brandungswelledrang das Geräusch an mein Ohr: unüberhörbar. Genau das war der springende Punkt, darauf lief alles immer wieder hinaus, das war das Thema, an dem wir uns ständig aufs Neue wund rieben, egal, wie lang oder kurz wir einander vorher oder hinterher umkreisten. Meine Mutter wollte mich unter ihrer Kontrolle haben und ich verweigerte ihr das. Was sie schier wahnsinnig machte, weshalb sie wiederum mich wahnsinnig machte. Und das Ganze wieder von vorn.
Das Muster erinnerte mich an meine Beziehung zu Louis Armstrong, den Kater meiner Großeltern früher. Meine Eltern waren zu sehr mit ihrem Restaurant beschäftigt, wollten deshalb kein Haustier anschaffen, was zur Folge hatte, dass ich völlig verrückt auf alles mit vier Beinen und Fell war. Mich als Kind sofort auf jedes Haustier stürzte, das mir unterkam. Louis Armstrong allerdings war alt und gemein und interessierte sich kein bisschen für kleine Menschen. Sobald er mich nur hörte, verkroch er sich unter dem Sofa. Ich ließ mich davon nicht beirren, setzte mich auf den Teppich, tat alles, was ich konnte, damit er wieder zum Vorschein kam: Rief ihn, lockte ihn mit Katzenleckerlis, unternahm einmal sogar den Versuch, ihn unter dem Sofa hervorzuziehen – mit dem Ergebnis, dass er mir böse den Arm zerkratzte.
Nach der Erfahrung gab ich auf und beschloss, meine Besuche bei meinen Großeltern damit zu verbringen, dass ich fernsah, obwohl ihr vorsintflutliches Gerät nur drei Programme empfing. Bis eines Tages etwas total Schräges passierte. Ich hockte, wie gesagt, da und sah mir einen alten Film an, obwohl das Bild verschwommen war und ich bloß die Hälfte verstand; die Erwachsenen saßen nebenan und unterhielten sich. Plötzlich spürte ich, wie etwas an meinenBeinen entlangstrich. Ich sah nach unten und war geradezu schockiert: Louis Armstrong hatte seine Rückzugsstrategie aufgegeben, kam an mir vorbeispaziert und begrüßte mich mit einem kleinen, beiläufigen Schwanzzucken. Was von der allumfassenden Beachtung durch ihn, nach der ich mich sehnte, natürlich noch weit entfernt war. Aber es war immerhin etwas. Ein Anfang. Und ich hätte garantiert nicht einmal dieses kleine Zeichen der Aufmerksamkeit von ihm bekommen, geschweige denn die Beinah-Zuwendung, die er mir ganz vorsichtig und langsam über die nächsten Monate hinweg zeigte, wenn ich ihn nicht einfach in Ruhe gelassen hätte.
Ich hatte versucht, das meiner Mutter zu erklären. Hatte mich sogar auf die Geschichte mit dem Kater bezogen. Aber sie kapierte es einfach nicht. Oder wollte es nicht kapieren. Vergiss Katzen, vergiss Sofas. Ich war ihre Tochter, ich gehörte zu ihr. War zur Kooperation verpflichtet.
Auch unsere jüngste Auseinandersetzung vor einigen Wochen war demselben, sattsam bekannten Muster gefolgt. Sie hatte ein, zwei Tage, bevor wir wieder einmal umzogen, in Westcott angerufen und ich hatte
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