Stop saying Goodbye: Roman (German Edition)
den Fehler gemacht zu erwähnen, ich sei gerade mit Packen beschäftigt. Weil ich es nämlich war. Sie flippte aus.
»Schon wieder?«, fragte sie wütend. »Was denkt dein Vater sich dabei? Wie kommt er bloß darauf, dass dieses Vagabundenleben gut für dich ist?«
»Mom, er ist nun mal Berater«, erklärte ich ihr mühsam und zum x-ten Mal. »Die Arbeit kommt nicht zu einem, sondern man muss dahin, wo die Arbeit auf einen wartet.«
»Er kann von mir aus arbeiten, wo und was er will«, erwiderte sie. »Aber du solltest hier in Tyler sein und bis zu deinem Abschluss auf deine alte Schule gehen. Es ist wirklichvollkommen absurd, dass wir dir erlauben, das Gegenteil zu machen.«
»Es war meine Entscheidung«, sagte ich. Wiederholte es wie ein Mantra. Es war ja auch ein Mantra. Meins.
»Du bist ein Teenager«, antwortete sie. »Tut mir leid, Mclean, aber das bedeutet in sich, dass du gar nicht wissen kannst, was richtig für dich ist.«
Ich versuchte, so gelassen wie möglich weiterzusprechen: »Und es wäre das einzig Richtige gewesen, bei dir zu bleiben?«
»Ja!« Erst mit kleiner Verzögerung nahm sie den sarkastischen Unterton wahr, atmete verärgert durch. »Schatz, du kannst fragen, wen du möchtest: Jeder halbwegs vernünftige Mensch ist der Ansicht, dass für eine Jugendliche in deinem Alter das Leben in einem geordneten Haushalt mit zwei verantwortungsbewussten Elternteilen sowie eine solide Basis funktionierender sozialer Beziehungen wesentlich besser wäre als –«
Ich versuchte dazwischenzukommen: »Mom!« Doch sie predigte in ihrem Sozialarbeiterjargon einfach immer weiter. Deshalb wiederholte ich mit mehr Nachdruck: »Mom!!!«
Endlich herrschte am anderen Ende der Leitung Stille. Doch schließlich war es wieder sie, die als Erste weiterredete: »Ich verstehe einfach nicht, warum du mich absichtlich verletzen willst.«
Es geht gar nicht um dich
, dachte ich, aber mittlerweile hatte sie begonnen zu weinen. Was mir automatisch den Wind aus den Segeln nahm. Jedes Mal.
Wenn wir es dabei belassen hätten, wäre auch dieser Streit vermutlich ohne nennenswerte Folgen geblieben, weder positive noch zusätzlich negative. Doch sie hatte nichts Eiligeres zu tun, als ihren Anwalt zu konsultieren, der wiederummeinen Vater anrief und alle möglichen unterschwelligen Drohungen nach dem Motto »Anträge bei Gericht einreichen« und »die aktuelle Vereinbarung vor dem Familiengericht aufgrund der jüngsten Ereignisse revidieren lassen« ausstieß. Schlussendlich passierte gar nichts. Dies alles führte allerdings dazu, dass ich sie seitdem rigoros auf Abstand hielt. Ich musste einfach warten – das Gefühl hatte ich jedenfalls –, bis ich mich so weit abgeregt hatte, dass ich überhaupt wieder mit ihr reden konnte. Und das hatte ich nicht. Noch nicht.
Die Spannungen zwischen uns waren in den letzten Monaten durch meine Collegebewerbungen noch verschlimmert worden. Ich hatte gerade, in Petree, mein vorletztes Schuljahr begonnen, da schickte sie mir – per Kurier! – ein dickes Paket voller Bücher mit Kapiteln, deren Überschriften zum Beispiel lauteten: »Flüssige Tinte. Wie man einen überzeugenden Aufsatz verfasst«; »Der Überwältigungsfaktor. Wie man Zulassungsgremien überzeugt«; »Die eigenen Stärken betonen. Wie man sich selbst so glänzend wie möglich präsentiert«. Erst als ich sie, eins dieser bedeutsamen Werke aufgeschlagen vor mir, anrief, um mich dafür zu bedanken – zum damaligen Zeitpunkt gingen wir eigentlich noch ganz friedlich miteinander um –, dämmerte mir auf einmal, woher ihr unvermitteltes, leidenschaftliches Interesse an meiner akademischen Zukunft rührte.
»Ich hatte das Gefühl, du könntest diese Art Bücher gut gebrauchen«, meinte sie. Ich konnte einen der Zwillinge unruhig an dem schnurlosen Telefon herumfummeln hören, das sie in der Hand hielt. »Das vorzeitige Zulassungsverfahren für die
Defriese University
beginnt in Kürze.«
»Vorzeitiges Zulassungsverfahren?«
Sie ignorierte die Frage. »Ich habe ein wenig recherchiert.Genau so must du es angehen«, fuhr sie fort. »Auf die Weise liegt ihnen deine Bewerbung schon einmal vor, was langfristig garantiert ein Vorteil ist, selbst wenn du nicht zur ersten Studentengruppe gehörst, die aufgenommen wird.«
»Äh …« – langsam klappte ich das Buch zu, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne – »… ich habe mir noch gar nicht richtig überlegt, wo ich mich überhaupt
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