Storm - Aus dem Leben eines Auftragskillers (German Edition)
eile zu ihr. Ich lege meine Hand unter ihren Kopf und platziere mein Ohr über ihrer Nase.
Sie atmet noch . Der Schock hat sie betäubt. Sie wird bald wieder zu sich kommen. Solange liegt ihr Leben in meinen Händen.
Ich muss sie schleunigst in Sicherheit bringen.
Ich knipse umständlich das Licht im Zimmer an und verschaffe mir einen groben Überblick in der neuen Umgebung. Hanna liegt in meinen Armen wie eine Braut, die in ihrer Hochzeitsnacht über die Schwelle getragen wird. Das Mädchen wiegt vielleicht fünfundsiebzig Kilo. Doch augenblicklich erscheint sie mir doppelt so schwer. Meine rechte Schulter ist dieser hohen Belastung noch nicht gewachsen. Deshalb beeile ich mich mit dem Transport und lege meine Partnerin zügig auf das weiße Doppelbett, das vier Meter vom Eingang entfernt auf seine Übernachtungsgäste wartet. Das Mädchen ist noch immer nicht bei Bewusstsein und erholt sich von dem Trauma, das wir beide in George Kingstons Wohnung erlitten haben.
Bei mir ist die Bombe nicht unmittelbar ins Nervenzentrum eingeschlagen, aber ich habe Hannas Leid nachempfinden können. Ein Mann, den man liebt und dem man ein Leben lang Vertrauen geschenkt hat, stellt sich als Funktionär einer kriminellen Organisation heraus. Obendrein hat er gemordet und vergewaltigt und das alles zu seinem Vergnügen. Da kann die Welt für ein junges Mädchen schon mal in sich zusammenbrechen.
Zum Glück war ich zu dem Zeitpunkt noch einigermaßen bei Kräften gewesen und konnte sie zurück in den Wagen bugsieren. Es war nicht leicht, sie in den Fahrstuhl und schließlich bis zum Auto zu wuchten. Ständig musste ich aufpassen, dass ich dabei nicht gesehen werde. Ein unbeteiligter Passant hätte glatt denken können, dass ich die aufreizend angezogene Frau mit KO-Tropfen betäubt habe. Die Bullen hätte ich in dem Moment keinesfalls als neugierige Zaungäste gebrauchen können. Gott sei Dank blieb ich unbemerkt!
Ich schnallte Hannas schlaffen Körper im Auto an und setzte mich neben sie ans Steuer. Gleich darauf düste ich mit ihr in ein mir bekanntes Hotel am nördlichen Stadtrand von Berlin. Die Unterkunft wurde nach dem Vorbild amerikanischer Motels errichtet. Mehrere flache Bungalows reihen sich in einer U-Form aneinander. Zentral zwischen den Zimmern erstreckt sich eine Parkfläche für die Gäste, sodass man sein Auto direkt vor dem angemieteten Objekt abstellen kann. Ich ließ Hanna kurz alleine im Auto und buchte einen Bungalow für die Nacht. Anschließend parkte ich den Wagen vor der entsprechenden Eingangstür und schloss sie vorsorglich auf. Danach ging ich zurück zu dem Ford und hievte Hanna aus dem Wagen in die Unterkunft hinein.
Nun stehe ich vor ihrer schlafenden Hülle und schaue andächtig auf sie herab. Sie hat den Mund geöffnet und schnarcht leise vor sich hin. Es passt zu ihr wie ihre platte Nase. Sie soll gar nicht perfekt sein. Erst die kleinen Makel machen uns zu unverwechselbaren Individuen. Sie ist wunderschön, so wie sie ist. Ich möchte sie küssen, nur auf die Stirn, aber die Absicht erscheint mir ungebührlich. Sie würde meine Lippen auf ihrer Haut nicht wollen; aus diesem Grund trete ich vom Bett zurück.
Ich gehe zur Eingangstür und schließe uns von der Außenwelt ab. Ich sperre zudem die kühle Brise aus, die meine Beine umweht. Zur Sicherheit drehe ich den Schlüssel zweimal nach links und verschaffe uns ein wenig Schutz vor ungebetenen Eindringlingen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir gnadenlos von den Schergen der Vita brevis gejagt werden. Höchstwahrscheinlich sitzt uns schon jetzt so eine krankheitsübertragende Zecke im Nacken, um uns bis aufs Mark auszusaugen. Ich fühlte bereits heute Morgen einen Beobachter in meinem Rücken. Und ich irre mich in solchen Dingen höchst selten. Bei der Fahrt zu dem Hotel habe ich keinen Verfolger bemerkt, was aber nicht heißt, dass es keinen gab. Manche Schatten verschmelzen zu gut mit der Dunkelheit.
Ich hoffe schlichtweg, dass wir wenigstens diese eine Nacht in Frieden gelassen werden, damit Hanna sich von dem Horror erholen kann. Es ist ein frommer Wunsch, der bitte erhört werden soll. Ich möchte nur eine faire Überlebenschance für uns beide, nichts weiter.
Mein Hintern sinkt erschöpft in einen Polstersessel, der rechts neben dem Bett aufgestellt wurde. Er gehört zu einer kleinen Sitzecke, die einen Tisch und zwei weitere Sessel einschließt. Die Sitzgelegenheiten haben einen mausgrauen Überzug und sind nur
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