Storm - Aus dem Leben eines Auftragskillers (German Edition)
folgen. Den Harndrang blendete sie vorerst aus.
Roland genoss ihre Gesellschaft sichtlich und grinste triumphierend in den Saal hinein. Seht mich an, ich habe den Hauptgewinn gezogen , schien er in die Gesellschaft zu brüllen. Er wirbelte seine Partnerin herum, vor und zurück.
Sie konnte seinen Takt nicht mehr halten. Pias Knie wurden schlagartig weich. Fast wäre sie gestolpert. Im letzten Moment konnte sie aber die Balance zurückerlangen.
» Alles in Ordnung?«, fragte Roland überrascht.
» Ja«, log sie. Es war überhaupt nichts in Ordnung. Wie aus dem Nichts wurde ihr schlecht. Hatte sie sich bei Peter angesteckt? Die Welt verschwamm vor ihren Augen. Jeder Schritt bereitete ihr Mühe. Sie konnte kaum noch atmen. Oder hatte sie vielleicht zu viel getrunken? Unmöglich, sie hatte nur fünf Gläser Champagner intus. Für ihre Verhältnisse war das nicht allzu viel.
Ihr Tanzpartner runzelte die Stirn. Er sagte etwas, aber sie konnte die Worte nicht verstehen.
Die Laute waberten verdreht um ihre Ohren. Die Musik wirkte schrill. Dunkelheit umfing sie. Ihre Beine konnten ihr Gewicht nicht mehr tragen. Sie rutschte Roland aus den Händen und landete mit dem Hintern auf dem harten Holzboden. Neben ihr schrie jemand auf. Ein dumpfes Gefühl breitete sich von ihrem Steiß in ihren restlichen Körper aus. Kurz danach lag sie gänzlich auf dem Parkett. Lähmung setzte ein. Kälte kroch an ihr hoch.
Leute versammelten sich um sie herum. Aufgeregte Rufe, unverständliche Worte. Die Musiker spielten nicht mehr.
Pia hielt die Augen offen und war dennoch fast blind. Umringt von geisterhaften Schemen fragte sie nach dem Warum? Was war mit ihr los? Ein Herzinfarkt? In ihrem Alter? Ihre Atmung setzte aus, sie rang nach Sauerstoff. Ihr Puls verflachte. Sie dachte an das bittere Glas voll Champagner. Es hatte extrem bitter geschmeckt. Nein! Wie konnte das sein? Jemand musste sie vergiftet haben. Vielleicht mit Zyankali. Die Substanz war voller Bitterstoffe. Während ihrer Ausbildung hatte Pia von solchen Vergiftungsfällen gehört. Wenn das stimmte, was sie über dieses Gift im Gedächtnis behalten hatte, war es um sie geschehen. Das Zeug tötete rasend schnell und gnadenlos. Ihr Herz schien nicht mehr zu schlagen.
Pia sammelte ihre letzten Kräfte , um an etwas Positives zu denken. Sie wollte wenigstens mit einem guten Gefühl sterben. Sie erinnerte sich an das letzte Weihnachtsfest, das sie mit ihrer Familie verbracht hatte. Ein harmonischer Tag. Sie dachte an das Foto, was sie am Heiligabend geschossen hatten. Es stand seither gut sichtbar in ihrer Anbauwand. Alle sahen darauf sehr zufrieden aus, und verdammt noch mal, das waren sie auch! Ein wunderschöner Tag voll Glück. Pia liebte jeden Einzelnen von ihnen und vermisste sie schon jetzt. Sie rief sich ihre Gesichter vor die Augen und küsste ihnen sanft auf die Stirn. Peter, Julie und Hanna. Danach winkten sie ihr nur noch aus der Ferne zu.
Jemand packte sie am Nacken und legte seine Lippen um ihren Mund. Anschließend drückte die Person mit beiden Händen auf ihren Brustkorb.
Sie registrierte die vergeblichen Bemühungen nur noch am Rande. Sie war bereit. Eine neue Welt wartete auf sie. Ihre Augen fielen zu und blickten in die Dunkelheit. Wenige Sekunden später starb sie mit einem Lächeln auf den Lippen.
Ich wache auf, als hätte mich ein Blitz getroffen. Der Traum, den ich soeben geträumt habe, war kein richtiger Traum. Er war vielmehr eine verblasste Erinnerung. Mein Gehirn malte ein Bild von Pia Waldenburg, ein herzzerreißendes Porträt. Das Bild setzte sich aus den wenigen Informationen zusammen, die ich von der Frau besaß. Es ist unvollständig, bruchstückhaft. Viele Bestandteile sind blanke Phantasie. Ich weiß nicht, wie Pia ihren letzten Tag verlebt hat. Vielleicht hatte sie sich mit ihrem Mann zerstritten und hat deshalb den Ball alleine besucht. Ich habe keine Ahnung, ob Julie Probleme mit einem Klassenkameraden hatte und was Pias letzte Worte zu Hanna waren. Genauso wenig weiß ich, was Pia bei dem Ball mit dem älteren Ehepaar besprochen hat und wie die reichen Säcke neben ihr hießen.
Ich bin mir nur sicher, dass ich an dem Abend als Kellner auf dem Ball gebucht wurde und dass ich Pia Waldenburg Gift in den Champagner gemischt habe. Ich habe gesehen, wie sie beim Tanzen mit dem Millionär Roland Gleitner zusammenbrach und ein anwesender Arzt noch versuchte, sie wiederzubeleben. Und ich erinnere mich an dieses zufriedene Grinsen auf ihrem
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